Anforderungen an die Qualifikation des Sachverständigen nach § 331 FamFG

Zu den Anforderungen an die Qualifikation

des medizinischen Sachverständigen in Verfahren der

betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung (§ 331 FamFG n.F.)

 

Dr. med. Markus Müller, LL.M. hat sich mit den Änderungen des nunmehr neugefassten FamFG auseinandergesetzt und zeigt die Auswirkungen hinsichtlich der seit dem 26.02.2013 bestehenden Anforderungen an die Qualifikation des medizinischen Sachverständigen bei der betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung auf. Dr. Markus Müller ist selbst als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Berlin u.a. als Sachverständiger tätig.

 

Das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18.02.2013 wurde am 25.02.2013 im Bundesgesetzblatt Jahrgang 2013 Teil 1 Nr. 9 zu Bonn ausgegeben. Dieses Gesetz beinhaltet neben Änderungen im § 1906 BGB auch diverse Änderungen des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Eine entscheidende Änderung findet sich in § 331 S. 1 Nr. 2, 2. HS FamFG, der sich auf die Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nach § 1906 Abs. 1-3a BGB und § 312 S. 1 Nr. 1, 2. Alt. FamFG bezieht und wie seit 26.2.2013 wie folgt lautet:

 

„2. ein ärztliches Zeugnis über den Zustand des Betroffenen und über die Notwendigkeit der Maßnahme vorliegt; in den Fällen des § 312 Nr. 1 und 3 muss der Arzt, der das ärztliche Zeugnis erstellt, Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie haben und soll Arzt für Psychiatrie sein“.

 

Der neue § 331 FamFG präzisiert gegenüber § 280 FamFG die Anforderungen an die Qualifikation des Gutachters in solchen Verfahren, in denen darüber zu entscheiden ist, ob eine Einwilligung in eine betreuungsrechtliche Zwangsmaßnahme richterlich genehmigt werden soll. Fordert § 280 FamFG in Betreuungssachen generell lediglich, dass der Gutachter alternativ entweder Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie sein soll, werden diese Qualifikationen durch das in § 331 FamFG eingesetzte „und“ für solche Verfahren kumulativ gefordert.

 

Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Praxis. Ein großer Teil der in Betreuungsverfahren notwendigen Gutachten wird von freien Gutachtern erstellt, die oft keine Facharztbezeichnung auf dem Gebiet der Psychiatrie, Psychiatrie und Psychotherapie oder Nervenheilkunde aufweisen. Auch weitergehende Qualifikationen wie das DGPPN-Zertifikat „Forensische Psychiatrie“ oder eine Zusatzbezeichnung für forensische Psychiatrie einer Ärztekammer haben diese Ärzte in vielen Fällen nicht. Ein anderer Teil der Gutachten wird von Ärzten in Weiterbildung, die auf geschlossenen Stationen tätig sind, erstellt. Bisher forderten auch weder der für einstweilige Anordnungen geltende § 300 FamFG, noch der in Unterbringungssachen anwendbare § 331 FamFG über § 280 FamFG hinausgehende weitere Qualifikationen von dem das Attest abgebenden Arzt[1]. Lediglich für die speziellen Fälle des § 1904 Abs. 1 und 2 BGB sind weitere Qualifikationen gefordert. So sollte der Sachverständige nicht personengleich mit dem die Maßnahme ausführenden Arzt sein. Das gilt jetzt auch für die Frage der Zwangsbehandlung, normiert im neuen § 329 Abs. 3 FamFG. Dieser schließt ferner aus, dass der Sachverständige, der sich zur Erforderlichkeit von Zwangsmaßnahmen äußert, den Betroffenen bereits zuvor begutachtet hat. M.E. kann es sich hier nur um Begutachtungen im engen zeitlichen Zusammenhang oder im selben Unterbringungsverfahren handeln. Über Jahre zurückliegende Begutachtungen, z.B. zur Frage der Notwendigkeit der Betreuung, ermöglichen dem Sacherverständigen den Vergleich der psychischen Zustände über die Zeit und können so sinnvolle Informationen über den Betroffenen liefern. Diese Vorteile überwiegen die Gefahr der Befangenheit des Sachverständigen[2].

 

Betrachten wir vor diesem Hintergrund die geforderte Qualifikation eines Sachverständigen im Unterbringungsverfahren nach dem Betreuungsrecht zum Zwecke der Zwangsbehandlung. Das Gesetz hält Ärzte für qualifiziert, die Ärzte für Psychiatrie sind, was m. E. sowohl die alte Facharztbezeichnung „Psychiatrie“, als auch die neuere Facharztbezeichnung „Psychiatrie und Psychotherapie“ ebenso einschließt wie den „Nervenarzt“ mit einer dreijährigen Weiterbildung in der Psychiatrie. Somit sind Assistenzärzte in Weiterbildungen explizit von einer Begutachtung ausgeschlossen. Inwieweit diese, wie in anderen Begutachtungsfragen, „helfend“ einen Großteil des Gutachtens erstellen und der ebenfalls behandelnde Oberarzt das Gutachten kritisch durchsieht, ggf. den Betroffenen nachuntersucht und dann das Gutachten mit unterschreibt, sei dahin gestellt. Das Bayerische Oberste Landesgericht verneinte bereits früher eine erforderliche Sachkunde bei Ärzten in Facharztausbildung[3]. Praktisch ausgeschlossen sind Ärzte, die lediglich über Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie verfügen. Sollten diese dennoch beauftragt werden, so ist ihre durch das Gericht geprüfte Sachkunde in der Entscheidung darzulegen[4].

 

Durch die Formulierung im neuen § 331 Fam FG stellt sich die Frage, ob es auch Ärzte für Psychiatrie geben kann, die nicht über Erfahrung auf dem Gebiete der Psychiatrie verfügen. Ohne Erfahrung mit der Behandlung psychisch Kranker ließe sich aber schon der Facharztstatus nicht erreichen. Gemeint kann daher nur sein, dass nur solche Ärzte in diesen Verfahren als Sachverständige herangezogen werden, die auch in Fragen der Zwangsbehandlung von akut psychisch Erkrankten erfahren sind. Es sollen so offenbar Ärzte als Sachverständige in Fragen der Zwangsbehandlung ausgeschlossen werden, die sich z. B. in Gesundheitsämtern anderen Aufgaben als der Akutbehandlung widmen oder die einen Großteil ihrer Tätigkeit als Sachverständige auf einem anderen Rechtsgebiet, zum Beispiel dem Sozialrecht, verrichten. Auch nicht mehr praktizierende Fachärzte fallen in diese Gruppe. Nur diese Auslegung lässt sich mit der Rechtsprechung des BGH vereinbaren, fordert dieser doch in seinem Beschluss vom 01.02.2006[5], dass „die von den Betreuten geduldete Behandlung so präzise wie möglich anzugeben ist, weil sich nur aus diesen Angaben der Unterbringungszweck sowie Inhalt, Gegenstand und Ausmaß der vom Betreuten zu duldende Behandlung hinreichend konkret und bestimmbar ergeben; dazu gehören bei der Behandlung durch Verabfolgung von Medikamenten, in der Regel auch die möglichst genaue Angabe des Arzneimittels oder des Wirkstoffes und deren (Höchst-) Dosierung sowie Verabreichungshäufigkeit“ genannt sein muss.

Petit und Klein führen dazu aus, dass sich im Hauptsacheverfahren also der jeweils behandelnde Arzt den Nachfragen und der Beurteilung eines einrichtungsfernen Fachmannes bis in die Details der Medikation hinein werde stellen müssen[6]. Bei Fragen der Indikation eines bestimmten Neuroleptikums kann daher nur ein genau in diesen Fragen erfahrener Facharzt für Psychiatrie, der täglich Menschen mit diesen Substanzen behandelt und auch die Entwicklungen innerhalb der Pharmakologie so näher verfolgt als der hauptberufliche Sachverständige, der sein Wissen über die Pharmakotherapie aus Büchern und Zeitschriften, nicht aber zusätzlich aus der Behandlungspraxis bezieht, konsultiert werden. Somit ist auch der Arzt, der lediglich Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie verfügt, in diesen Fragen, die in höchstem Maße in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreifen, praktisch ausgeschlossen. Er kann ohne stete Praxiserfahrung und ohne Facharztstatus nicht über ein so weitreichendes Wissen der Pharmakotherapie in der Akutpsychiatrie verfügen, wie es in den Fragen der Zwangsmedikation notwendig ist[7]. Dies erschwert sicherlich die Auswahl des Sachverständigen durch das Gericht[8]. Die Bestellung eines minder qualifizierten Sachverständigen wäre m.E. nur schwer zu begründen und nachzuvollziehen.

In der Praxis dürfte das dazu führen, dass die Oberärzte unterschiedlicher, höchstwahrscheinlich benachbarter Kliniken, die jeweils in der Nachbarklinik untergebrachten und zu behandelnden Patienten begutachten werden. Bei einem kollegialen Miteinander mag dies zu einem regen Erfahrungsaustausch führen. Immer wieder kommt es aber schon innerhalb einer Klinik zu Differenzen und unterschiedlichen Ansichten über die Wahl des Pharmakons. Hier droht die Gefahr, dass Sachverständige dem Neutralitätsgebot zum Trotz versuchen könnten, anderen Kliniken die eigene Sicht der „richtigen Pharmakotherapie“ über einen Gerichtsbeschluss zu oktroyieren.

 

Als weitere Sachverständige kommen ambulant arbeitende Fachärzte in Frage, deren Tätigkeit in der Akutpsychiatrie aber oft länger zurück liegt, und die, aufgrund der ambulanten Sichtweise, oft ein anderes Vorgehen als die klinisch tätigen Kollegen präferieren.

 

Gerade bei Differenzen in der Auswahl von Medikamenten oder einer „geeigneten Maßnahme“ in der Zwangsbehandlung sind also höchste Anforderungen an die Aufmerksamkeit des Verfahrenspflegers und die des Richters zu stellen.

 

Berlin im März 2013                      

 

Dr. med. Markus Müller, LL.M. (Medizinrecht)

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

Medizinischer Sachverständiger

 



[1] MünchKomm/Schmidt-Recla, § 331 Rn 7.

[2] Eine andere Meinung vertritt Schmidt-Recla, 2011, S. 437.

[3] BayObLG FamRZ 1989, 319; 1993, 351.

[4] BGH MDR 2011, 429; BGH FamRZ 2010, 1726.

[5] BGH NJW 2006, 1277; MDR 2006, 995.

[6] Petit/Klein, DÄBl 2013, A379.

[7] Zur Qualifikation des in der Psychiatrie erfahrenen Sachverständigen: Damrau/Zimmermann, § 280 FamFG Rn 18.

[8] Nach § 30 FamFG und § 404 Abs. 1 und 2 ZPO liegt die Auswahl des Sachverständigen im Ermessen des Gerichtes.

 

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Urheber und Verfasser dieses Aufsatzes ist Dr. med. Markus Müller, LL.M. (Medizinrecht). Er hat auch sämtliche Verwertungsrechte exklusiv inne. Verlinkungen oder ähnliche Verweisungen auf diese Webseite sind zulässig, nicht aber die Datei auf fremden Webseiten zur Verfügung zu stellen.
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