Die Autorin Ilse Platzer, LL.M. (Medizinrecht) hat sich mit dem Thema des sogenannten ärztlichen Abrechnungsbetrugs aus der strafrechtlicher Perspektive des Betrugs (§ 263 StGB) auseinandergesetzt und gibt einen konzentrierten Einblick in das problematische Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens.
Der Abrechnungsbetrug ist als Begriff untrennbar mit vertragsärztlichen (früher: den sog. „kassenärztlichen“) Honorarmanipulationen verbunden und hat sich „aus kleinsten Anfängen“ zu einem wahren Massendelikt mit außerordentlich hohen Schadenssummen und dadurch zu einer Gefahr für unser Krankenversicherungssystem als solches sowie für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt, Patient und Krankenkasse entwickelt [1].
Zu bedenken ist, ob aus strafrechtlicher Sicht ein Betrug tatsächlich vorliegen kann, sollte eine ärztliche Leistung de lege artis erbracht worden sein und dem Patienten entweder voraussichtlich einen Heilungserfolg versprechen oder diesen tatsächlich erzielen, und dennoch bei der Leistungserbringung formale Voraussetzungen des leistungserbringenden Arztes teilweise oder zur Gänze nicht erfüllt worden sind.
Vermögensschaden
Der Arzt, der eine Leistung abrechnet, die er beispielsweise nicht persönlich erbracht hat und sich dessen auch bewusst ist (also als Chefarzt beispielsweise hinsichtlich der durch den Oberarzt
durchgeführten Operation [2] eine sogenannte Luftleistung abrechnet) erfüllt den Tatbestand des § 263 StGB.
Keineswegs so eindeutig lässt sich die Frage beantworten, ob ein Vermögensschaden i. S. d. § 263 StGB vorliegt, wenn in Fällen, in denen tatsächlich erbrachte und qualitativ vollwertige ärztliche
Leistungen abgerechnet worden sind, deren rechtliche Abrechnungsfähigkeit aufgrund von Besonderheiten des ärztlichen Abrechnungsrechts nicht gegeben sind [3].
a. Vermögensschaden bei der Abrechnung der ärztlichen Leistung – der gesetzlich krankenversicherte Patient
Hierzu folgende Problemstellung [4]:
Ein Arzt begeht einen Betrug zum Nachteil der Kassenärztlichen Vereinigung, wenn er die Kassenzulassung von Ärzten, die er im Angestelltenverhältnis beschäftigt, durch Vorlage von
„Scheinverträgen“ über Ihre Aufnahme als Freiberufliche in eine Gemeinschaftspraxis erschleicht und die von ihnen erbrachten Leistungen als solche der Gemeinschaftspraxis abrechnet.
Wer so vorgeht, hat für die Leistungen der angestellten Ärzte keinen Vergütungsanspruch: Sie erbringen ihre Leistungen nicht als Freiberufler, so dass, obwohl sie wirksam als Vertragsärzte
zugelassen sind, ihre Tätigkeit nicht als vertragsärztliche Tätigkeit honorarfähig ist. Andererseits ist ihre Tätigkeit auch nicht als eine gem. § 32 b Ärzte-ZV im Angestelltenverhältnis
erbrachte honorarfähig, und zwar nicht einmal in dem Umfang, in dem sie genehmigungsfähig wäre und die Budgetgrenzen nicht überschritten wären, denn Voraussetzung dafür wäre die tatsächliche
Erteilung der gem. § 32 b Abs. 2 Ärzte-ZV erforderlichen Genehmigung.
Ein Vermögensschaden wird aber vom BGH [5] dann bejaht, wenn ein Arzt ohne kassenärztliche Zulassung tätig wird und demzufolge auch nicht berechtigt ist, an der durch die kassenärztliche Vereinigung erfolgenden Verteilung der von den Kassen bezahlten Honorare teilzunehmen. Als Begründung führt er aus, dass der Wert der Leistung sich nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs richte. Da die Leistungen des Arztes danach nicht abgerechnet werden könnten, würden sie im System der gesetzlichen Krankenkassen als wertlos gelten. Auch sei das Argument nicht tragfähig, den Kassen bliebe infolge der Behandlung ihrer Patienten durch den Angeklagten Aufwendungen in möglicherweise gleicher Höhe erspart, die ihnen nach der Behandlung durch einen anderen, bei der Kasse zugelassenen Arzt erwachsen wären. Eine derartige Kompensation wird als ausgeschlossen erachtet, sie wäre ohnehin lediglich hypothetisch. Zudem stelle das Vertrauensverhältnis zum kassenärztlich zugelassenen Arzt einen besonderen wirtschaftlichen Wert dar, so dass bei Fehlen dieser Voraussetzung auch in wirtschaftlicher Hinsicht die Leistung als wertlos zu betrachten sei [6].
Dem ist entgegenzuhalten, dass der Patient gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse gemäß §§ 11 ff. SGB V einen Anspruch auf die für die Gesunderhaltung, Wiederherstellung oder Besserung des
Gesundheitszustandes erforderlichen Maßnahmen hat, sofern diese zweckmäßig, ausreichend und wirtschaftlich sind. Wird der Patient geheilt und sei diese Heilung auch durch eine nicht abrechenbare
Leistung erfolgt, so entfällt der originäre Anspruch des Patienten gegenüber der Krankenkasse. Allerdings bleibt er für Schäden, die aus der zwar de lege artis aber eben nicht von dem „richtigen
Arzt“ erbrachten Leistung vollumfänglich bestehen [7].
Die Rechtsprechung [8] bejaht aufgrund der für den Bereich des Sozialversicherungsrechts vertretenen „streng formalen Betrachtungsweise“ das Vorliegen eines Schadens im Sinne des § 263 StGB,
dem Betrugstatbestand, wenn ein Vertragsarzt ärztliche Leistungen erbracht hat, dabei jedoch die formalen Vorschriften des Vertragsarztrechts außer Acht gelassen wurden.
.Die „streng formale Betrachtungsweise“ wurde stets zur Feststellung des Vermögensschadens im Sozialversicherungsrecht herangezogen.
Dieser Argumentation ist entgegenzuhalten, dass der Schadensbegriff des Betrugstatbestandes dem Wesen nach eine wirtschaftliche Minderung aufweisen muss. Nach einer Ansicht wird zwar die Meinung des „juristischen Vermögensbegriffs“ vertreten. Danach gehören zum geschützten Vermögen nur die einer Person rechtlich zugewiesenen Güter sowie Rechte und zwar unabhängig von deren wirtschaftlichem Wert. Der sog. juristische Vermögensbegriff ist jedoch nach herrschender Meinung zu streng und wird heute nicht mehr vertreten. Grund dafür ist, dass dieser Begriff Güter oder Rechte einer Person meist überbewertet und sich so gesehen auf alle Gegenstände beziehen könnte, die kaum einen wirtschaftlichen Wert hätten. Grundsätzlich wird der Begriff des Schadens im Sinne des § 263 StGB deshalb durch ein Vermögensminus nach der Verfügung charakterisiert. Ein Vermögensminus ist gegeben, wenn der wirtschaftliche Gesamtwert des Vermögens nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung verringert wurde. Darunter ist folgendes zu verstehen: der maßgebliche Zeitpunkt für den Wertvergleich ist der Vermögensstand durch die Ermittlung „vor“ und „nach“ der Verfügung. Man sagt auch, das Opfer muss „ärmer“ geworden sein. Das ist nicht der Fall, wenn das Opfer durch die Verfügung eine Vermögensminderung erlitten hat, jedoch unmittelbar durch Zufluss eines gleichwertigen wirtschaftlichen Äquivalentes wieder ausgeglichen wird.
Möglicherweise verkennt der BGH [9] daher diesen Umstand, wenn er vertritt, dass der Irrtum in einem Fall der nicht abrechenbaren Leistung allein eine „Statusfrage“ sei, hingegen nicht aber die Abrechnungsvoraussetzungen betrifft. Der Status ist durchaus eine Abrechnungsvoraussetzung, die auch bei erschlichener Zulassung nicht gegeben ist. Auf den Unterschied zwischen fehlender und erschlichener (und daher unwirksamer) Zulassung kann es für § 263 StGB aber gar nicht ankommen, sondern darauf, ob die Erbringung einer fachgerechten Leistung als Kompensation im Rahmen der Gesamtsaldierung einen Vermögensschaden nicht per se ausschließt. [10] Darauf, dass der Patient seine Einwilligung zu dieser Behandlung durch einen nicht zugelassenen Arzt gar nicht abgegeben hat, und somit bereits ein strafbares vorwerfbares Handeln der Ärzte aufgrund der Verwirklichung des Tatbestandes der Körperverletzung gem, § 223 StGB vorliegt, wird hingegen nicht abgestellt.
Ein Argument gegen die Annahme eines Schadens gem. § 263 StGB könnte sein, dass der Wert der freiberuflichen ärztlichen Leistung auch in ihrer fachlichen Unabhängigkeit begründet liegt. Diese
setzt voraus, dass der Arzt seine ärztliche Berufstätigkeit in voller eigener Verantwortung nachgehen kann. Er muss in medizinischen Fragen weisungsfrei sein und darf nur nach seiner Sachkunde,
nach seinem Gewissen und entsprechend der ärztlichen Sitte handeln. Diese Voraussetzungen, die den Wert der ärztlichen Leistung bilden, sind auch bei einem wirtschaftlich abhängigen Arzt erfüllt.
Sind Ärzte nur in wirtschaftlicher Hinsicht abhängig, nimmt dies ihrer ärztlichen Arbeit aber nicht den Wert. Bei ärztlichen Leistungen ist nicht der Kapitaleinsatz entscheidend, sondern eben
gerade das persönliche Tätigwerden. Abrechnungen eines nur in seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit beeinträchtigten Arztes begründen weder einen Vermögensschaden der Krankenkasse noch der KV.
Auch wenn der Arzt nicht über eine eigene ärztliche Niederlassung verfügt, weil er nicht frei über die räumlichen und sachlichen Mittel sowie das Personal verfügen kann, muss dies den Wert seiner
ärztlichen Leistung nicht beeinträchtigen. [11]
b. Vermögensschaden bei der Abrechnung der ärztlichen Leistung – der privat krankenversicherte Patient:
Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung des BGH zu Grunde: [12]
Der Angeklagte betrieb als Arzt für Allgemeinmedizin eine mit der Erbringung von Naturheilverfahren, Homöopathie- und Osteopathieleistungen sowie Traditioneller Chinesischer Medizin beworbene
Praxis, in der er grundsätzlich nur Privatpatienten behandelte. Unter anderem hatte der Angeklagte nicht persönlich erbrachte Behandlungen als eigene abrechnen lassen, die in seinen Praxisräumen
von Therapeuten und einem aus China stammenden Arzt für Traditionelle Chinesische Medizin erbracht wurden, die im Tatzeitraum weder approbiert noch niedergelassen waren und „daher keine
Berechtigung hatten, selbständig Leistungen an Patienten zu erbringen und abzurechnen.“ Der Angeklagte führte jeweils ein „Eingangsgespräch“ und ein „Abschlussgespräch“ mit den Patienten, er
hatte aber nicht die fachlichen Kenntnisse, die Tätigkeit der Therapeuten zu überwachen.
Der Privatpatient gilt nach den Ausführungen des 1. Strafsenats als der verfügende und der geschädigte Vermögensinhaber. Sein Vermögen sei infolge des rein formellen Verstoßes gegen die
gebührenrechtlichen Abrechnungsvorschriften gemindert. Zudem habe mangels Anspruchs des Arztes von vorneherein keine Verbindlichkeit bestanden, von welcher der Patient hätte frei werden
können.
Der 1. Strafsenat geht davon aus, dass es für privatärztliche Leistungen weder einen Verkehrswert noch einen (objektiven) Markt oder einen von den Vertragsparteien frei zu vereinbarenden Preis
gibt. Deshalb bestimmten die materiell-rechtlichen Normen des Sozialrechts zur Abrechenbarkeit der Leistung, im Fall der Privatliquidation die GOÄ, allein und abschließend den wirtschaftlichen
Wert einer Behandlungsleistung.
Der erste Strafsenat nahm daher einen Vermögensschaden in Höhe des gesamten Rechnungsbetrages an; die Gegenleistungen seien wirtschaftlich wertlos gewesen.
Resümee
Fraglich könnte sein, ob die zuletzt genannte Entscheidung nicht im Widerspruch zu den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom 23.6.2010 [13] bzw. 7.12.2011 [14] hinsichtlich der Bestimmung des Vermögensschadens stehen, wobei er in der ersten seiner beiden Entscheidungen ausgesprochen hat, dass der Untreuetatbestand gem. § 266 Abs. 1 StGB mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz zu vereinbaren ist, aber hinsichtlich der Begriffe Vermögen und Vermögensnachteil präzise Vorgaben geschaffen hat. In der zweiten Entscheidung hat es sich mit dem Vermögensschaden, dem Erfüllungsbetrug bzw. Eingehungsbetrug sowie der extensiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals Vermögensschaden auseinandergesetzt.
Bedenklich scheint der Verfasserin dieser Arbeit die Anwendung der allein im Sozialversicherungsrecht geltenden streng formalen Betrachtungsweise des Tatbestandes des Betruges auch auf dem Gebiet
des Strafrechtes.
Abschließend lässt sich festhalten, dass es schwierig ist und bleiben wird, die Interessen der unterschiedlichen Beteiligten unter einen Hut zu bringen. Der Patient ist interessiert an einer
Behandlung - möglichst einer solchen der Spitzenmedizin - auch an einem ausreichenden Zeitvolumen des behandelnden Arztes und weiterhin daran, hierfür keinen oder einen möglichst geringen eigenen
finanziellen Beitrag leisten zu müssen. Die Ärzteschaft ist interessiert an einem angemessenen Einkommen sowie an einer – abgestimmt auf den jeweiligen Patienten – passenden Behandlung. Die
Krankenversicherungen – unabhängig davon, ob gesetzlich oder privat - haben ein beschränktes Budget, eine laufende Beitragserhöhung würde zur Unzufriedenheit der Beitragszahler führen müssen.
Wie die Rechtsprechung sich in Zukunft auf diesem Gebiet weiterentwickeln wird, ob der Schadensbegriff des Betruges aufgeweicht werden wird und/oder weiterhin die streng-formalen Begrifflichkeiten des Sozialversicherungsrechtes als Maßstab zugrunde gelegt werden, bleibt abzuwarten.
[1] Ulsenheimer, Rn. 1075.
[2] BGH Urt 15.8.2016, VI ZR 75/15 „Haben Patienten mit einem Krankenhaus eine Operation ausschließlich durch den Chefarzt vereinbart, dann muss auch der Chefarzt operieren. Mangels Einwilligung ist die Operation durch einen Vertreter rechtswidrig. Für Folgeschäden müssen danach der operierende Arzt und die Klinik selbst dann haften, wenn dem Arzt kein Fehler vorzuwerfen ist.“
[3] Krause D., Abrechnung u. Betrug im Gesundheitswesen, S. 19.
[4] LG Koblenz, 2 Ws 92-94/00 – Beschluss vom 2.3.2000, Stein, MedR 2001, 144.
[5] BGH 3 StR 161/02 vom 5.12.2002, NJW 2003, S 1198, 1200.
[6] MK/Hefendehl, § 263, Rn. 581.
[7] BGH Urt 15.8.2016, VI ZR 75/15
[8] BGH NStZ 1995, S. 85, NJW 2003, S. 1198.
[9] BGH 3 StR 161/02 vom 5.12.2002, NJW 2003, 1198.
[10] Idler, JuS 2004, S 1037, 1041.
[11] Wessing/Dann, GesR 2006, S. 176, 177.
[12] BGH 1 StR 534/11 vom 4.9.2012, 1 StR 45/11 vom 25.1.2012, NJW 2012, 1377, MedR 2013, 284.
[13] BVerfG 2 BvR 2559/08, 2 BvR 105/09 und 2 BvR 491/09.
[14] BVerfG 2 BvR 2500/09, 2 BvR 1857/10.
Literaturverzeichnis
Die Autorin Ilse Platzer, LL.M. (Medizinrecht) hat in Österreich Jura studiert und im Herbst 2000 dort promoviert. Sie ist freiberuflich in Österreich sowie im angrenzendem Bayern tätig. Sie ist unter: A-4723 Natternbach, Waldstr. 1; Tel: 0043-66473923416 erreichbar.