Der ärztlich assistierte Suizid

 

In diesem Aufsatz gibt Frau RA' Claudia Holzner, LL.M. einen Überblick über die Probleme der derzeitigen Rechtslage zum ärztlich assistierten Suizid und zeigt die unterschiedlichen Lösungsansätze sowie die Meinungen der Anspruchsgruppen (Patientenvertretung und Ärzteschaft) auf.

Ergänzend zu diesem Artikel weisen wir Sie auf einen übersichtlichen Beitrag unter www.tagesschau.de hin.

 

Der Patient ist 76, er hat Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Ärzte geben eine Überlebensprognose von einigen Monaten, eine Heilung sei nach menschlichem Ermessen nicht vorstellbar. Diese wenigen verbleibenden Monate wären im Krankenhaus zu verbringen, angeschlossen an ein Beatmungsgerät. Aus dieser Situation heraus und aus Angst vor dem, was noch auf ihn und auch seine Angehörigen zukommen wird, möchte er seinem Dasein ein Ende bereiten.

 

So wie diesem Patienten geht es vielen am Ende ihres Lebens. Sie bitten um die Autonomie, selbst über ihr Leben entscheiden zu können. Um diese Autonomie zu erlangen, gehen einige deutsche Patienten in die Schweiz, um dort in einem Sterbehilfeverein entsprechend ihren Wünschen versorgt zu werden. Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten.

 

Wer jemanden auf dessen Wunsch tötet, kann laut § 216 StGB mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Wenn der Wille des Verstorbenen nicht nachgewiesen werden kann, droht sogar eine Verurteilung wegen Totschlags. Ausgenommen sind in diesem Zusammenhang Fälle der passiven und falls eine entsprechende Patientenverfügung vorliegt, der indirekten Sterbehilfe, nämlich der assistierte Suizid, soweit der Betroffene das Mittel selber einnimmt, die Verabreichung schmerzlindernder Medikation, die als unbeabsichtigte Nebenwirkung das Leben verkürzt, sowie das Abstellen lebenserhaltender Geräte. Bei der indirekten Sterbehilfe handelt es sich auch um Fälle aktiver Sterbehilfe, die allerdings aus unterschiedlichen Gründen ausnahmsweise straffrei bleiben.


Die bisherige Rechtsprechung
In der Rechtsprechung des BGH wurden durch die revolutionäre Entscheidung in dem spektakulären Fall „Putz“ (1) bereits Lockerungen des Verbotes der aktiven Sterbehilfe in Tendenzen erkennbar.  Es wurde gegen den Anwalt und die Tochter der Verstorbenen Anklage wegen eines gemeinschaftlich begangenen versuchten Totschlags durch aktives Tun erhoben. Im Gegensatz zu seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung Maßnahmen zur Prolongierung des Lebens ausnahmsweise aktiv beendet werden können, sollte dieses der Umsetzung des Patientenwillens dienen.
Für ein solch wichtiges und mit weitreichenden Konsequenzen verbundenes Thema kann jedoch ein solcher Richterspruch nicht die Lösung des gesellschaftlichen Problems darstellen, zumal Rechtssicherheit anders aussieht.

 
Der Gesetzesentwurf
Daher hat der Gesetzgeber schon zum wiederholten Mal Versuche unternommen, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen. Bislang ohne eine Einigung zu erzielen. Einen außerparlamentarischen Entwurf für ein solches Gesetz hat am 8. Mai 2014 die Deutsche Stiftung Patientenschutz (2)  der Öffentlichkeit vorgestellt. Am 18.10.2014 wurde von Abgeordneten das Eckpunktepapier hinsichtlich des Gesetzes der ärztlich assistierten Suizidbeihilfe vorgelegt. (3)
Konkret wollen die Abgeordneten im Bürgerlichen Gesetzbuch festlegen, unter welchen Bedingungen die ärztliche Suizidbeihilfe zulässig sein soll. Ihrem Entwurf zufolge muss es sich um einen volljährigen und einsichtsfähigen Patienten handeln, und der Arzt muss freiwillig agieren, also auch die Beihilfe zum Suizid ablehnen können. Weiterhin müsse sicher sein, dass bei dem Sterbewilligen eine unheilbare Erkrankung irreversibel zum Tod führt, dass er objektiv schwer leidet und eine umfassende Beratung des Patienten bezüglich anderer, insbesondere palliativer Behandlungsmöglichkeiten stattgefunden hat. Bestätigen soll dies ein zweiter Arzt in Sinne eines Vier-Augen-Prinzips.

 

Das Dilemma
Dieser Vorschlag hat nicht nur unter der Ärzteschaft eine weitreichende Debatte ausgelöst. Es wird eine Lösung gesucht für ein moralisches Dilemma: Was zählt mehr – das Recht des Einzelnen auf Selbstbestimmung, oder die Pflicht der Gesellschaft, ihre Mitglieder und deren Leben zu schützen?
Nach derzeitiger Meinung ist die palliative Grundhaltung und Versorgung gekennzeichnet von der unumstößlichen Orientierung an den Bedürfnissen und der Verbesserung der Lebensqualität der Erkrankten und ihrer Angehörigen. Sie schließt aktive Sterbehilfe aus. (4)
Hinsichtlich des Patientenwillens bei der Therapiebegrenzung am Lebensende ist zu betonen, dass die besondere Aufgaben- und Pflichtenstellung des Behandelnden derzeit darin besteht, das Leben der Patienten zu erhalten, deren Gesundheit wiederherzustellen sowie das Leiden zu lindern, denn „wenn lebensverlängernde, intensiv-medizinische Eingriffe nicht mehr angezeigt sind, treten palliativ-medizinische und pflegerische Maßnahmen an ihre Stelle.“ (5)


Die moderne Intensivmedizin verfügt allerdings über ein Interventionspotential, das maximal einzusetzen nicht mehr in jedem Einzelfall angemessen, sondern im Einzelfall „schlimmer als der Tod“ erscheinen mag. Bereits das Abwarten „auf die nächste Infektion“ beinhaltet derzeit für den behandelnden Mediziner eine Entscheidung, die ärztlicherseits von ihm persönlich bei einer Reduzierung oder einem Abbruch der Therapie verantwortet werden muss. Zwar kann es an der medizinischen Indikation fehlen oder auch an dem Patientenwillen, die dieser aufgrund seines Selbstbestimmungsrechts innehat. Nur diese beiden Gründe können einer lebensverlängernden ärztlichen Intervention entgegenstehen. Liegt jedoch keiner der beiden Gründe in tatsächlich ermittelbarer Weise vor, so begründet jedes Nichthandeln ein strafrechtliches Risiko für den Arzt aufgrund eines „Unterlassens“.

 

Der Arzt: Heilsbringer oder Todesengel
Zu dieser Frage hat sich Deutschlands Ärzteschaft in ihrer zentralen Betroffenheit in die Diskussion um die Rolle des Arztes eingebracht. Die eindeutig vertretene Haltung besagt, dass es Aufgabe des Arztes ist zu helfen, aber nicht zu töten. (6) Nach tief verwurzelter hippokratischer Tradition darf der Arzt den Tod keinesfalls bringen. (7) Der Arzt soll und darf nichts anderes tun, als Patienten nach ihrem Willen beizustehen und deren Leiden zu lindern, ob es ein Glück ist oder ein Unglück, ob es Wert hat oder nicht, das geht ihn nichts an. (8) Maßt er sich einmal an, aus Mitleid heraus dies nicht mehr als wesentlich anzusehen und aktive Lebensverkürzung zur ärztlichen Aufgabe zu machen, sind die Folgen unabsehbar, dann wird der Arzt der gefährlichste Mensch im Staate. (9)


Der Ethikrat
Der Deutsche Ethikrat hat in seiner Stellungnahme vom Dezember 2014 diese Ansicht in vollem Umfang unterstützt. Er fordert in dieser Stellungnahme Informationen darüber an, was die Alternative zu anderweitig postulierten gesetzlichen Änderungen sei. (10)

Aufgrund der Brisanz des Themas hat der Deutsche Ethikrat am 19.12.2014 eine Ad-hoc-Empfehlung zur Regelung der Suizidbeihilfe abgegeben. Danach ist die Mehrheit des Rates grundsätzlich gegen eine ärztliche Suizidbeihilfe, empfiehlt der Ärzteschaft aber, in Ausnahmesituationen ärztliche Gewissensentscheidungen zu respektieren.


Der Patient: einwilligungsfähig und freiverantwortlich?
Zu bedenken ist in diesem Kontext, dass nur der einwilligungsfähige Patient zur Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts befähigt ist. Ob der Patient einwilligungsfähig ist, hat wiederum der Arzt festzustellen. Seine Feststellung hat sich darauf zu beziehen, ob der Patient mit hinreichendem Verständnis der Sachlage „Wesen, Bedeutung und Tragweite“ bzw. „Art, Bedeutung und Folgen“ des konkret bevorstehenden Eingriffs erfassen und damit das Für und Wider seiner Entscheidung gegeneinander abwägen kann. Aus rechtlicher Sicht ist unbestritten, dass nur der Patient selbst zu einer Beurteilung berufen ist, ob sein Leben noch „lebenswert“ ist. Aufgabe des Arztes ist es, psychopathologische Anknüpfungspunkte mitzuteilen, die es dem Gericht ermöglichen, zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer freien Willensbildung vorlagen. (11)  Auf die Geschäftsfähigkeit, das heißt im konkreteren Sinne die Testierfähigkeit, - die Fähigkeit, ein Testament zu errichten, abzuändern oder aufzuheben-, kommt es dabei, trotz landläufig gegenteiliger Annahme, gar nicht an.


Auch die Anordnung einer Betreuung hat grundsätzlich keinen Einfluss auf das Vorliegen eines nichtsdestotrotz beachtlichen Patientenwillens. Liegt dieser vor, gilt das Selbstbestimmungsrecht der Patienten immer. Es gilt  auch dann, wenn das Unterlassen einer medizinischen Intervention lebensbedrohliche Auswirkungen hat. Hierzu hat der BGH in Strafsachen  bereits am 28.11.1957 (12) folgendes obiter dictum gesprochen: „Niemand darf sich zum Richter in der Frage aufwerfen, unter welchen Umständen ein anderer vernünftigerweise bereit sein sollte, seine körperliche Unversehrtheit zu opfern, um dadurch wieder gesund zu werden, denn auch ein lebensgefährlich Kranker kann triftige und sowohl menschlich wie sittlich achtenswerte Gründe haben, eine Operation abzulehnen.


Diese geistige Haltung wurde seitens des Bundesverfassungsgerichts unterstrichen. In der maßgeblichen Entscheidung vom 25.02.1979 (13) urteilen die Richter: „Verstirbt der Patient resultierend aus seinem Behandlungsveto, so ist nur er selbst verantwortlich“. Entsprechend seinen „ureigensten Maßstäben“ ist der Patient „…allenfalls sich selbst, nicht aber dritten Personen und ihren Maßstäben Rechenschaft schuldig.“ Dieser Grundsatz ist so in Deutschland auch bei der Thematik „Zeugen Jehovas und Bluttransfusion“ inzwischen von der Rechtsprechung anerkannt. Darüberhinaus gab es zu speziell dieser Thematik und der Frage der grundrechtsverstärkenden Wirkung der Glaubensfreiheit ein aufsehenerregendes Verfahren auf internationaler Ebene. In dem Prozess „Church of Scientology Moscow vs. Russia“ lautete das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (14), dass der Anspruch der Scientology Kirche auf den Schutz der Menschenrechtsgarantien als religiöse Vereinigung (Art. 9 und 11 Europäische Menschenrechtskonvention) bestätigt wurde. Das Verfahren der Scientology Kirche Moskau hat diese gegen Russland gewonnen. Dieses Urteil wirkt sich durch seinen Aussagegehalt auf alle 47 Mitgliedsländer des Europarates (und somit auf 820 Millionen Einwohner dieser Staaten) aus - in medizinrechtlicher Hinsicht bei der gebotenen Beachtung eines religiös motivierten Therapieunterlassens von einem einwilligungsfähigen Patienten zumindest auch in Deutschland. Ist der Patient nicht mehr einwilligungsfähig, kommt es auf die medizinische Indikation an.


Der Patient: medizinische Indikation?
Bei der medizinischen Indikation handelt es sich nicht um eine Entscheidung nach rein medizinischen Gesichtspunkten, sondern um eine solche, in die normative Kriterien einfließen. Der Bundesgerichtshof kennzeichnet sie in seiner wegweisenden Entscheidung aus dem Jahre 2003 (15) als „das fachliche Urteil über den Wert oder Unwert einer medizinischen Behandlungsmethode in ihrer Anwendung auf den konkreten Fall“ . In diesem Beschluss, der den Fall eines an einem apallischen Syndrom (neurologische Schädigung, die auf schwersten Gehirnschäden basiert) leidenden Patienten betraf, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass das Unterlassen lebenserhaltender oder -verlängernder Maßnahmen bei einem einwilligungsunfähigen Patienten voraussetze, dass dies dessen tatsächlich geäußerten oder mutmaßlichen Willen entspreche und dass die Grunderkrankung einen "irreversibel tödlichen Verlauf" angenommen habe.


Inwieweit sich der bisher zugestandene „Grauzonenbereich“ der medizinischen Indikation zukünftig legitimieren lässt, ist derzeit ebenso ungeklärt wie die Frage nach den zulässigen Bewertungskriterien. Die bestehenden Unsicherheiten lassen sich laut Prof. Dr. iur. Kern, Juristenfakultät Leipzig, am Beispiel des sog. „Wachkomas“ illustrieren; die „Grundsätze“ der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung enthalten hierzu nur die Empfehlung, dass „eine anhaltende Bewusstlosigkeit allein […] nicht den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen“ rechtfertige. Wenn die Ärzte des sterbenskranken Patienten festgestellt haben, dass er trotz seiner Krankheit einwilligungsfähig ist, ist das nur der erste Schritt. Denn auch bei Ärzten bleiben manchmal Zweifel.
Diesen Zweifeln würde ein politischer Gegenvorschlag zu dem Eckpunktepapier vom 16.10.2014 Abhilfe schaffen, mit der einen Strafrechtsänderung für sinnvoll erachtet, so dass die Beihilfe zum Suizid nur Menschen mit einer engen persönlichen Beziehung zum Todkranken erlauben wird.


Die Lösung: In Sicht?
Einigkeit besteht parteienübergreifend lediglich dahingehend, dass die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe und die öffentliche Werbung dafür verboten sein soll.
Zu dem aktuellen Stand der Diskussion verweisen wir statt vielen auf die umfassende und ständig aktualisierte Website der Deutschen PalliativStiftung unter dem Vorsitz von Herrn Dr. Thomas Sitte.
Auf dem 4. Dresdner Medizinrechtssymposium am 05. und 06. Juni 2015 wird diese Debatte aus den verschiedenen Blickwinkeln diskutiert und somit ein Beitrag zur Transparenz geleistet werden.

(1) BGH, 25.06.2010 - 2 StR 454/09
(2) http://www.stiftung-patientenschutz.de/
(3) Aerzteblatt.de, 16.10.2014, „Hintze und Reimann wollen ärztlich assistierten Suizid erlauben“
(4) Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP): „Bessere palliative Versorgung von dementiell Erkrankten“, Stellungnahme v. 12.10.2007
(5) Laufs in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. § 6 Rdz. 10
(6) Maibach-Nagel, Eine Frage der Würde, Deutsches Ärzteblatt, 52/2015, S.1
(7) Laufs in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. § 6 Rdz. 10
(8) Sitte, Geschäftsführer Pro PalliativNetz GmbH & Co. KG und Vorstandsvorsitzender Deutsche PalliativStiftung
(9) Ebendieser
(10) Maibach-Nagel, Eine Frage der Würde, Deutsches Ärzteblatt, 52/2015, S.1
(11) Deutsches Ärzteblatt 2014; 111(26): A-1202 / B-1038 / C-980
(12) BGHSt 11, 111, 114, Az.: 4 StR 525/57
(13) BVerfGE 52, 131, 171-178, Az.: 2 BvR878/74
(14) EMGR Urteil v. 10.6.2010 − 302/02, Az.:18147/02
(15) BGHZ 154, 205, 224; Az.: XII ZB 2/03

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