In Abwandlung des Ausspruch von Prof. Dr. med. Franz Volhard: „Vor die Therapie haben die Götter die Diagnose gesetzt.“ wird den Juristen seitens der Ärzteschaft gerne vorgeworfen, dass sie noch hiervor die „ärztliche Aufklärung“ gesetzt hätten. Dabei ist es mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, dass der Arzt aufgrund seines überragenden Fachwissens mittels des Aufklärungsgespräches den Patienten zumindest auf eine gewisse Informationsebene hebt, damit dieser wirksam von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen kann, um in eine medizinische Behandlung einzuwilligen. Nichtsdestotrotz gibt es in der Praxis immer wieder Grenz- und Sonderfälle, bei denen man sich berechtigterweise fragen muss, wer, wann, wie und in welcher Intensität aufgeklärt werden muss. Anhand ausgewählter, besonders praxisrelevanter Beispiele erläutert Fr. RAin, Fachanwältin für Medizinrecht, Claudia Holzner, LL.M. die Rechtslage.
Die Frage, ab welchem Alter eine Patientin oder ein Patient selbst die Einwilligung zu einem Eingriff abzugeben hat, hängt nicht vom Eintritt der Geschäftsfähigkeit mit 18 Jahren ab. Es kommt auf die tatsächliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit an, die auch schon vor Erreichen der Volljährigkeitsgrenze gegeben sein kann. Von der Einwilligungsfähigkeit des Patienten ist also seine Geschäftsfähigkeit zu unterscheiden. Ein 16-jähriger, eingeschränkt geschäftsfähiger Patient kann einwilligungsfähig sein, ein 65-jähriger, geschäftsfähiger aber demenzkranker Patient ist dies hingegen nicht. Im Hinblick auf die Einwilligungsfähigkeit verbieten sich demnach starre Altersgrenzen.
Kinder unter 14 Jahre
Allerdings wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Kindern unter 14 Jahren davon ausgegangen, dass eine Einwilligungsfähigkeit regelmäßig nicht gegeben ist. Bei der rechtlichen Wirksamkeit eines de lege artis und nach Facharztstandard ausgeführten ärztlichen Eingriffs kommt es daher bei den unter 14-jährigen Patienten entscheidend auf die wirksame Einwilligung der gesetzlichen Vertreter (i.d.R. die Eltern) an, obgleich auch die minderjährigen Patienten in die Aufklärungsgespräche eingebunden werden sollten und ihnen zumindest ein gewisses Vetorecht zugesprochen wird. Diese Vorgehensweise wurde entscheidend durch das Urteil des BGH vom 10.10.2006, Az.: VI ZR 74/05 geprägt. In diesem hat der BGH sich mit dem Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht, dem richtigen Adressaten der Aufklärung bei einer Beteiligung Minderjähriger und Fragen der hypothetischen Einwilligung befasst. Die Aufklärung müsse sich auch auf seltene Risiken erstrecken, wenn diese geeignet sind die Lebensführung des Betroffenen erheblich zu beeinträchtigen. Ebenso erläutert der BGH in seinem Urteil, dass bei einem minderjährigen Patienten immer die Eltern im Hinblick auf ihr Elternrecht nach Art. 6 GG [1] und der Verpflichtung zur elterlichen Sorge aus § 1626 BGB [2] aufzuklären sind. Gegenüber dem Minderjährigen besteht eine Verpflichtung zur Aufklärung, soweit dieser urteilsfähig ist, da diesem ein Vetorecht gegen die Entscheidung seiner Eltern zustehe.
Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren
Bei Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren soll es für die Frage der Einwilligungsfähigkeit im Wesentlichen darauf ankommen, wie die Ärztin oder der Arzt die Persönlichkeit des
Jugendlichen beurteilt. Die Einschätzung, ob eine Patientin oder ein Patient einwilligungsfähig ist, obliegt wiederum der Ärztin oder dem Arzt.. Zentrale Frage der eigenständigen Wahrnehmung des
medizinischen Selbstbestimmungsrechtes von Minderjährigen ist die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit. Konkrete gesetzliche Definitionen, welche Fähigkeiten der Minderjährige beherrschen
muss, um nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestaltung zu ermessen, fehlen. Häufig werden die zentralen Begriffe: Wesen, Bedeutung
oder Tragweite des Eingriffs gleichbedeutend verwendet und bleiben insofern zu unbestimmt. Teilweise wird die Fähigkeit verlangt, den Willen entsprechend dieser Einsicht zu steuern, so
beispielsweise in § 40 IV Abs. Nr. 3 AMG [3]. Es verbleibt im Ergebnis bei dem individuellen Eindruck des Arztes oder der Ärztin hinsichtlich des Patienten. Bestehen Zweifel hinsichtlich der
Einwilligungsfähigkeit seines Patienten bleiben für die Vornahme des ärztlichen Eingriffes wiederum beide Eltern in Wahrnehmung ihrer Personensorge gem. § 1626 BGB die
Entscheidungsträger.
Einwilligung in Abhängigkeit von der Schwere des Eingriffes
Bei der Operation eines Kindes unter 14 Jahren ist vor dem Eingriff die Einwilligung beider Eltern einzuholen, falls diese die elterliche Sorge gemeinsam ausüben. Dabei kann ein Elternteil den anderen ermächtigen, die erforderliche Einwilligung in den ärztlichen Eingriff für beide stellvertretend abzugeben. Für die rechtlich wirksame Erteilung der Einwilligung sind je nach Abstufung der möglichen Gefahr in Abwägung zu der Schwere des Eingriffs sowie der potentiell daraus resultierenden Eskalationsgefahr von schweren körperlichen Schäden als Folge des Eingriffs verschiedene Anforderungen an die Einholung einer wirksamen Einwilligung zu stellen. Bei Eingriffen, die als ärztlicher Routineeingriff zu bewerten sind, wie z.B. Zahnextraktionen, Standarduntersuchungen wie Medikamentengaben oder Impfungen sowie kleineren Operationen darf der Arzt davon ausgehen, dass der anwesende Elternteil zur Vertretung des anderen Elternteiles bevollmächtigt ist. Darüber hinausgehenden Dokumentationserfordernissen muss er nicht genügen, obgleich sich auch bei Standardeingriffen wie einer Zahnextraktion gravierende und bleibende körperliche Schäden wie beispielsweise Nervenverletzungen des Gesichts ergeben können. Die Behandlungsseite darf ungefragt darauf vertrauen, dass der anwesende Elternteil ermächtigt ist, die Einwilligung alleine abzugeben, solange dem Arzt selber keine entgegenstehenden Umstände bekannt geworden sind.
Anders sind die Anforderungen bereits bei Eingriffen von mittlerer Schwere, zu denen solche gerechnet werden, die eine umfangreichere Aufklärung erfordern wie beispielsweise radiologische Untersuchungen oder Therapien bei komplizierteren Grunderkrankungen wie Allergien oder Kinderrheuma. Hier hat der in der Aufklärungspflicht stehende Arzt dafür Sorge zu tragen, zu erfahren, ob der anwesende Elternteil vom anderen ermächtigt ist. Auf die nach Anfrage erhaltene Auskunft darf er oder sie vertrauen. Am gründlichsten gelingt der Nachweis, dass beide Elternteile die Aufklärung zur Kenntnis genommen und ihr Einverständnis abgegeben haben, durch die schriftliche Bestätigung. Noch strenger sind die Anforderungen bei einem schwerwiegenden Eingriff, dessen Kompliziertheit ihm immanent ist und welcher - mit hohen Risiken behaftet - weitreichende Komplikationen auszulösen geeignet ist. Hier trifft den Arzt die Pflicht, sich objektive Gewissheit zu verschaffen, dass beide Elternteile nach der an beide erfolgten Aufklärung mit dem Eingriff einverstanden sind.
Aufklärung und Fremdsprachigkeit
Ein weiteres Problemfeld ergibt sich aus der Aufklärung minderjähriger fremdsprachiger Patienten und derer Eltern. Hier beschränkt sich die Aufklärungspflicht nicht allein darauf, das
Aufklärungsgespräch zu führen. Vielmehr ist sicherzustellen, dass der Gegenüber die erfolgte Aufklärung auch versteht. Dies führt zum einen dazu, dass sich Ärztinnen und Ärzte auf das
Verständnisniveau ihrer Patientinnen und Patienten einstellen müssen. Gegebenenfalls muss eine leicht verständliche Umgangssprache gewählt werden. Bei ausschließlich fremdsprachigen Patientinnen
und Patienten ist ebenfalls dafür Sorge zu tragen, dass eine Verständigung möglich ist, so Kammergericht Berlin, Urt. v. 08.05.2008, Az.: 20 U 202/06. Eine dolmetschende Person ist immer dann
hinzuziehen, wenn nicht gewährleistet werden kann, dass die Patienten die deutsche Sprache in hinreichendem Ausmaß beherrschen. Für die Übersetzung kommen allerdings professionelle Dolmetscher
ebenso in Betracht wie sprachkundige eigene Beschäftigte z. B. ein Pfleger oder eine Krankenschwester des Hauses. Das OLG Karlsruhe befand mit Urt. v. 02.08.1995, Az.: 13 U 44/94 dass die
Hinzuziehung einer im Krankenhaus beschäftigte Reinigungskraft als Dolmetscherin zulässig sei. Der Arzt hat sich zu vergewissern, dass eine adäquate Aufklärung in jedem Einzelfall gewährleistet
ist. Lässt sich keine Person ausfindig machen, die sich mit dem Patienten verständigen kann, blieben dem Arzt nur zwei Möglichkeiten: Entweder verweigert er die (aufschiebbare) Behandlung oder er
sorgt selbst für einen geeigneten Dolmetscher. Bei der Dokumentation des Aufklärungsgespräches wird auch die dolmetschende Person zu vermerken sein. Grundsätzlich sind alle Patientinnen und
Patienten, ob der deutschen Sprache mächtig oder nicht, verpflichtet, konkret zu sagen, dass die Aufklärung nicht verstanden wurde. Geschieht dies nicht, darf seitens des Arztes von einer
wirksamen Aufklärung ausgegangen werden.
Aufklärung per Telefon
Eine weitere problembehaftete Konstellation in Anbetracht der modernen Kommunikationsmittel ist, ob auch eine telefonische Aufklärung durch den Arzt hinreichend ist. Dabei
wird das Augenmerk nicht auf Kommunikationsmittel wie Skype gerichtet, bei dem auch eine visuelle Komponente mit allen ihren Vorzügen das persönliche Gespräch fast ersetzbar macht, sondern
lediglich auf die fernmündliche Aufklärung per Telefon. Grundsätzlich hat die Aufklärung mündlich zu erfolgen. Gefordert wird dafür ein vertrauensvolles Gespräch, im Rahmen dessen der
Patientin/dem Patienten die notwendigen Informationen gegeben werden. Unbeantwortet blieb die Frage, ob diese Voraussetzungen auch im Rahmen eines Telefonates erfüllt werden können, zu dieser hat
der BGH sich vor einigen Jahren positiv geäußert, indem er in seinem Urt.v. 15.Juni 2010, Az: VI ZR 74/05 entschied, dass „grundsätzlich sich der Arzt in einfach gelagerten Fällen auch in einem
telefonischen Aufklärungsgespräch davon überzeugen darf und kann, ob der Patient die entsprechenden Hinweise und Informationen verstanden hat. Ein Telefongespräch gibt ihm ebenfalls die
Möglichkeit, auf individuelle Belange des Patienten einzugehen und eventuelle Fragen zu beantworten. Dem Patienten bleibt es unbenommen, auf ein persönliches Gespräch zu bestehen. Handelt es sich
hingegen um komplizierte Eingriffe mit erheblichen Risiken, wird eine telefonische Aufklärung regelmäßig unzureichend sein“. Fazit ist, dass die telefonische Aufklärung zulässig ist, soweit sie
nur auf Standardeingriffe einfacherer Natur beschränkt wird.
Aufklärung bei Verweigerung bestimmter Diagnose- oder Therapiemaßnahmen
Immer wieder kommt es in der (zahn-) ärztlichen Praxis zu der Konstellation, dass Patienten aufgrund häufig widersprüchlicher Medienberichte medizinisch (dringend) gebotene
und ggf. alternativlose Maßnahmen von vornherein ablehnen, so sich die Frage stellt, ob dennoch über diese Maßnahmen und vor allem die Risiken bei Nichtdurchführung aufgeklärt werden müsse. So
wird beispielsweise von dem Patienten die angeratene Biopsieuntersuchung eines Tumors abgelehnt, ebenso wie die weitere diagnostische Befundung mit Einweisung in ein Krankenhaus. Auch wichtige
radiologische Befunderhebungen werden aufgrund einer medialen Überzeichnung der damit verbundenen Gefahren abgelehnt. Oder aber es werden ganze Therapievorschläge aus Misstrauen gegenüber den
Ärzten gar nicht befolgt. Auch wenn durch diese Handlungen sehr deutlich das Selbstbestimmungsrecht des Patienten – ggf. auch selbstschädigend zu handeln – zum Ausdruck kommt, führt dies jedoch
nicht bereits dazu, dass die Ärzte von der gesamten Verantwortung für den in ihrer Behandlung befindlichen Patienten und der daraus resultierenden Haftung befreit sind. Allein das Ablehnen
bestimmter Behandlungsmethoden oder weiterer gebotener diagnostischer Schritte entbindet die Ärzte nicht von der Pflicht ihren Patienten darzulegen – und dies unter Umständen auch mehrfach –
warum diese Schritte erforderlich sind und welche Risiken sich bei deren Nichtbefolgen realisieren können. Können die Ärzte in ihrer Patientendokumentation nachweisen, dass trotz einer intensiven
Aufklärung hinsichtlich aller Gefahren nicht ihrem Rat entsprechend gehandelt wurde, besteht die Möglichkeit des Arztes, sich von der Haftung für die abgelehnte Behandlung zu befreien.
Aufklärung bei Schönheitsoperationen
Hinsichtlich der Aufklärung bei Schönheitsoperationen sind die konkreten Umstände des Eingriffs zu berücksichtigen. Für diesen Bereich gilt für die (zahn-) ärztliche oder kieferorthopädischen Beratung, je dringlicher die Operation, desto weniger streng sind die Anforderungen. Fehlt eine medizinische Indikation und liegt bloße ästhetische Motivation vor, sind die Anforderungen an die Aufklärung besonders hoch. Der BGH hat am 06.11.1990 die Aufklärung bei einem kosmetischen Eingriff so definiert, dass „je weniger ein ärztlicher Eingriff medizinisch geboten ist, umso ausführlicher und eindrücklicher ist der Patient, dem dieser Eingriff angeraten wird oder den er selbst wünscht, über dessen Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen zu informieren. Das gilt in besonderem Maße für kosmetische Operationen, die nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, der Heilung eines körperlichen Leidens dienen, sondern eher einem psychischen und ästhetischen Bedürfnis.“
[1]
Das elterliche Grundrecht aus Art. 6 GG, elterliche Sorge, räumt den Eltern dahingehend einen Ermessenspielraum ein, um zu beurteilen, welche Maßnahmen für das Kindeswohl förderlich sind.
[2]
§ 1626 BGB
Elterliche Sorge, Grundsätze
(1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das
Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).
(2) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem
Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.
[3]
40 Abs. 4 AMG Allgemeine Voraussetzungen der klinischen Prüfung
Auf eine klinische Prüfung bei Minderjährigen finden die Absätze 1 bis 3 mit folgender Maßgabe Anwendung:
Abs. 3. Die Einwilligung wird durch den gesetzlichen Vertreter abgegeben, nachdem er entsprechend Absatz 2 aufgeklärt worden ist. Sie muss dem mutmaßlichen Willen des Minderjährigen
entsprechen, soweit ein solcher feststellbar ist. […] Ist der Minderjährige in der Lage, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und seinen Willen hiernach auszurichten,
so ist auch seine Einwilligung erforderlich. Eine Gelegenheit zu einem Beratungsgespräch nach Absatz 2 Satz 2 ist neben dem gesetzlichen Vertreter auch dem Minderjährigen zu eröffnen.
(Hervorhebungen durch Autor)