Im Aufsatz zu der Organlebendspende wurden die Neuerungen des Transplantationsgesetzes dargestellt. Es zeigte sich, dass die sogenannten
Inseltransplantationen durch die TPG-Novelle an den Rand der Existenz gedrängt wurden. Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über die Aufarbeitung der vergangenen
Transplantationsskandale wird nachfolgend das Thema Inseltransplantation durch Fr. Dr. med. Ina Gillmeister, LL.M. (Medizinrecht), Fachärztin für Anästhesie, Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und
Palliativmedizin insbesondere aus medizinischer Perspektive näher beleuchtet.
Der Diabetes mellitus, die sogenannte „Zuckerkrankheit“ gehört zu den ältesten den Menschen bekannten Krankheiten. Die Beschreibungen gehen bis in die Zeit um 1550 Jahre vor Christus zurück. Bis ca. 1920 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung eines Typ I Diabetikers 2-3 Jahre (!) ab Diagnosestellung – dann starb der Patient in einem ketoazidotischen Koma, einer Art Stoffwechselentgleisungskoma. Die Entdeckung des Insulins durch die Kanadier Banting und Best 1921 markierte einen Durchbruch in der Diabetestherapie. Heute liegt die Lebenserwartung dieser Patienten bei guter Einstellung nahe der gesunder Menschen. Jedoch lassen sich bei Weitem nicht alle der Betroffenen „gut einstellen“. Mit großen Hoffnungen wurde deshalb anfänglich auf die Möglichkeit der Transplantation insulinproduzierender Zellen geschaut. Der anfänglich ganz große Optimismus ist dem Realismus gewichen und dies hat neben medizinischen auch rechtliche Gründe.
Verantwortlich für die menschliche Insulinproduktion ist die Bauchspeicheldrüse - das Pankreas. Es besteht aus einem sogenannten exokrinen Teil, welcher hauptsächlich Verdauungsenzyme produziert und beim Diabetiker nicht betroffen ist und einem endokrinen Teil. Letzterer wird in seiner Gesamtheit als Inselorgan bezeichnet weil sich dieses Gewebe hinsichtlich seiner Funktion deutlich vom Rest der Bauchspeicheldrüse unterscheidet. Die nach ihrem Entdecker als Langerhanssche Inseln bezeichneten Areale bestehen zum überwiegenden Teil aus Betazellen, welche das Insulin produzieren und den Alphazellen, welche dessen Gegenspieler Glukagon sezernieren. Es ist nun genau die autoimmunologische Zerstörung dieser Betazellen, die den Typ-I-Diabetes verursacht. Es handelt sich also vom pathophysiologischen Verständnis her um eine Autoimmunerkrankung. Bei den meisten Patienten finden sich deshalb Antikörper im Blut – wie man jetzt weiß, schon 10 bis 15 Jahre vor Erkrankungsausbruch - welche die Betazellen attackieren, in denen das Insulin produziert wird. Zum Zeitpunkt der Diagnose sind bei den meisten Patienten 60 bis 80 % der Betazellen zerstört.[1]
Ist dies der Fall, stünden dem Patienten theoretisch gesehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung zu gesunden Betazellen zu gelangen: (1) die Transplantation des gesamten Pankras oder (2) die isolierte Transplantation der insulinproduzierenden Zellen. Erstgenannter Eingriff ist invasiv, kompliziert und komplikationsträchtig, im Falle einer Abstoßungsreaktion verliert der Patient das gesamte Organ. Die Inselzelltransplantation ist hingegen ein interventionell-radiologischminimalinvasiver Eingriff bei dem die Betazellen über einen Katheter in die Pfordader der Leber eingeschwemmt werden, von wo aus sie ihre Funktion aufnehmen. Die Menge an körperfremdem Gewebe mit dem der Empfängerorganismus konfrontiert wird und damit auch die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten entsprechender immunologischer Komplikationen wird damit reduziert. Nach Registerdaten beträgt das Inselzelltransplantatüberleben ein Jahr nach Transplantation 82%, nach 3 Jahren 75%. Die Insulinunabhängigkeitsraten zum Einjahreszeitpunkt betragen 50% sowie nach 3 Jahren 35%. Damit geht zwar eine deutliche Steigerung der Lebensqualität und eine gegenüber der alleinigen intensivierten Insulintherapie verbesserte Progressionshemmung mikrovaskulärer diabetischer Folgekomplikationen einher, es gelingt aber in der Regel nicht, die Patienten insulinunabhängig zu bekommen.[2]
Nachteilig ist vor allem, wie bei allen Organtransplantationen, die Notwendigkeit einer dauerhaften Behandlung mit Unterdrückung Immunsuppressiva um Abstoßungsreaktionen, die vom Immunsystem des Körpers gegen das körperfremde Gewebe ausgehen zu unterdrücken oder zumindest abzuschwächen.[3] Der früher von (exogenem) Insulin abhängige Patient ist jetzt von Immunsuppressiva abhängig. Eben diese eigentlich schützend gedachte Therapie hat aber erhebliche Nachteile: mittel- bis langfristig erhöht sie die Anfälligkeit für Infektionen sowie das Risiko bestimmter Krebserkrankungen. Es gelingt auch nie ganz, die Autoimmunreaktion auf das Empfängergewebe einzudämmen, so daß auf diese Weise wieder zuvor transplantierte Betazellen für die Insulinproduktion verloren gehen. Der ehemalige Typ-I-Diabetiker kann dann einen als Post-transplant Diabetes mellitus bezeichneten Effekt mit Verringerung der Insulinfreisetzung aus den Betaellen, einem Anstieg der Insulinresistenz und einer erhöhten Absterbensrate der Betazellen bekommen.[4] Aus diesen und einer Reihe anderer Gründe kommt die Inselzelltransplantation nur für bestimmte Patienten mit komlizierten Konstellationen in Frage.
Auch nach dem Gesetz zur Änderung des TPG vom 21.07.2012 hat die Entnahme von Organen Vorrang vor der Gewebeentnahme, § 9 II S. 1 TPG. Weiterhin ist das Pankras ein vermittlungspflichtiges Organ, § 1a Nr. 2 TPG. Ein Organ ist immer zunächst an einen auf der Warteliste stehenden geeigneten Empfänger zu vermitteln. Nur wenn dies nicht möglich ist und dreifach abgelehnt wurde, oder in dem selteneren Fall, daß die Gewebeentnahme das genannte Procedere nicht beeinflußt, kann Gewebe entnommen werden (Subsidiaritätsprinzip). Organe, die bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllen [5] werden in einem beschleunigten Vermittlungsverfahren einem Zentrum mit Pankreasinselprogramm angeboten. Die Klinik informiert ihrerseits die Vermittlungsstelle über das Vorhandensein eines potentiellen Empfängerpatienten. Steht fest, daß das Organ nicht vaskularisiert transplantiert werden kann und statt dessen dem Pankreasinselprogramm zugeführt wird, gelten von da an die Vorschriften des AMG. Gem § 20 b AMG bedarf eine Einrichtung, die zur Verwendung bei Menschen bestimmte Gewebe im Sinne von § 1a Nr. 4 des Transplantationsgesetzes gewinnen (Entnahmeeinrichtung) oder die für die Gewinnung erforderlichen Laboruntersuchungen durchführen will, einer Erlaubnis der zuständigen Behörde. Diese Voraussetzungen erfüllen die wenigen in Deutschland tätigen Zentren oder sie verfügen über entsprechende Kooperationsvereinbarungen (Gießen, Tübingen, Dresden). Weiterhin ist es schwierig, aus nur einem einzigen Spenderorgan genug Zellen für eine Transplantation zu isolieren. Hier wäre es um so wichtiger auf eine große Anzahl konventionell nicht transplantierbarer Pankreata Zugriff zu haben. Damit stellen sich alle organmangelbedingten Probleme noch eindrücklicher.
Die Novellierung des TPG hat hier keine Unterstützung gebracht. Im Gegenteil: wie auf vielen Gebieten hinkt die Gesetzgebung den rasanten Entwicklungen in Biotechnologie und Biomedizin hinterher. Im besten Falle ermöglichen gesetzliche Regelungen eine Steuerungsfunktion, eine Weichenstellung, und damit ein Agieren. Auf dem Gebiet der Biotechnologie und Biomedizin hat sich der Gesetzgeber in die Ecke des Reagierenden drängen lassen. Für die Problematik der Inselzelltransplantation heißt das: Während noch nicht einmal als von Seiten der Medizin als genügend empfundene, unterstützende, vereinfachende Regelungen zur Stärung des bisherigen Verfahrens bestehen, eilt die Medizin mit großen Schritten weiter. In São Paulo gelang ein „immunologischer Neustart“ durch eine hämatopoetische Stammzelltransplantation bei einem Typ-I-Diabetes mellitus im Anfangsstadium.[6] In München loten Grundlagenforscher derzeit die Möglichkeiten einer Xenotransplantation aus. Dabei bieten sich Schweine an. Ihr Insulin unterscheidet sich nur in einer Aminosäure vom menschlichen Insulin. Vor der Einführung des Humaninsulins waren Schweine neben Rindern die einzige Quelle für die Insulintherapie. Ein Team von der LudwigMaximilians-Universität München haben zusammen mit Forschern der Meiji Universität in Kawasaki das Gen für CTLA4 (seine Expression dient im weitesten Sinne der Immuntoleranz) in das Erbgut von Schweinen integriert.[7] Noch kommt das Verfahren für Menschen nicht in Frage, da man Angst vor der (Mit)Übertragung genverändernder Retroviren hat. Noch nicht.
Dr. med. Ina Gillmeister, LL.M. (Medizinrecht), Fachärztin für Anästhesie, Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und Palliativmedizin
[1] Dtsch. Arztebl 2013; 110(27-28): A-1346 / B-1182 / C-1166 mit Verweis auf noch unveröffentlichten JAMA Artikel.
[3] Pancreatic Islet Transplantation. in: PLoS Medicine 1(3)/2004. S. e58ff. 4 Recurrence of Autoimmunity Following Pancreas Transplantation. in: Current Diabetes Reports. 11(5)/2011. Springer, S. 413–419.