Masterplan Medizinstudium 2020 - Reformierungspläne zum Medizinstudium

Frau RA'in Claudia Holzner, LL.M. hat sich den Reformierungsplänen bezüglich des Medizinstudiums, der sogenannte "Masterplan Medizinstudium 2020", angenommen und ausgewählte Aspekte näher beleuchtet. 

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Wieder einmal ist das deutsche Medizinstudium im Umbruch begriffen. Nach vielen Reformversuchen und tatsächlich durchgeführten Reformen in den vergangenen 30 Jahren soll mit dem Masterplan Medizinstudium 2020, mit dem Bund und Länder die „Weichen für die Ausbildung der nächsten Medizinergeneration stellen“, die ärztliche Ausbildung grundlegend neu strukturiert werden.

 

Damit verbunden ist erstmals auch eine grundlegende Abkehr von dem Auswahlkriterium Durchschnitt der Abiturnote als herausragendes Alleinstellungsmerkmal für die Zulassung vorgenommen werden. Neben der Abiturnote sollen künftig auch kommunikative und soziale Fähigkeiten Zulassungskriterien für das Medizinstudium werden. Gleichzeitig soll dieses „konsequent kompetenzorientiert“ ausgerichtet werden. Die Allgemeinmedizin muss im Studium den Stellenwert erhalten, "der ihr auch in der Versorgung zukommt", heißt es im Masterplan. Das spiegelt sich im Maßnahmenpaket:

 

Zwar soll die Abiturnote auch weiterhin eines der wichtigen Auswahlkriterien bleiben, doch müssten die Hochschulen zusätzlich mindestens zwei weitere Kriterien bei der Auswahl der Eignung eines Bewerbers/einer Bewerberin anwenden. Hier werden genannt die sog. sozialen und kommunikativen Fähigkeiten, welche bestenfalls durch Praktika in medizinischen Disziplinen, so beispielsweise auch auf dem Gebiet der Pflege, abgebildet werden. Ähnliches soll für die nachzuweisende "Leistungsbereitschaft“ der Bewerber gelten. Hierfür fallen ganz  besonders eine vorherige tätigkeitsnahe Ausbildung in medizinischen Berufen sowie ehrenamtliches Engagement im medizinnahen Bereich ins Gewicht. Diese verstärkte Ausrichtung an praxisorientierter Qualifikation wurde in den letzten Jahren bereits daran deutlich, dass es mittlerweile möglich ist, ein Medizinstudium ohne allgemeine Hochschulreife (Abitur) zu absolvieren. Dazu müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: 1.) in der Regel die Mittlere Reife mit abgeschlossener Berufsausbildung[1]; 2.) die zweijährige Berufsausbildung muss mindestens mit der Note 2,5 abgeschlossen worden sein sowie inhaltliche Bezüge zum Medizinstudium aufweisen[2] und 3.) ist eine dreijährige Berufserfahrung im genannten Bereich erforderlich.

 

Hintergrund der Reform ist, dass das Studium bei seiner derzeitigen Struktur nicht mehr geeignet erscheint, den Arzt/die Ärztin zukünftig so auszubilden, dass einerseits dem zu befürchtenden zunehmenden Mangel an Hausärzten hinreichend begegnet werden kann und andererseits die Qualifikationen, die den Arztberuf wesentlich kennzeichnen, wie beispielsweise Empathie verbunden mit der Fähigkeit zur zügigen Diagnosestellung und Entschlussfähigkeit weder von dem derzeitigen Auswahlverfahren der Kandidaten noch von den sogenannten „Multiple-Choice-Prüfungen“ Rechnung getragen wird. Den Studierenden sollen neben Wissen auch „Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen“ vermittelt werden.

 

Das bedeutet, dass ähnlich wie in den bereits in Deutschland praktizierten Modellstudiengängen vom ersten Semester an theoretische und klinische Inhalte verknüpft und auch Lehrpraxen stärker in die Ausbildung eingebunden würden. Auch sollen am Ende des Studiums alle Studierenden in der Allgemeinmedizin geprüft werden. Um dem Ärztemangel im hausärztlichen Bereich entgegenzuwirken, spricht sich die BÄK dafür aus, Medizinstudenten gleich zu Beginn des Studiums an das Gebiet der Allgemeinmedizin heranzuführen. „Dafür müssen bis 2017 an allen medizinischen Fakultäten in Deutschland Lehrstühle für Allgemeinmedizin eingeführt werden“, fordert die BÄK[3].

 

Auch der 119. Deutsche Ärztetag[4] hat gefordert, bei der Vergabe von Medizinstudienplätzen psychosoziale Kompetenzen und soziales Engagement der Bewerber zu berücksichtigen. Eine Landarztquote wird hingegen abgelehnt, da nur die wenigsten Bewerber vor ihrem Studium einschätzen könnten, welche Fachrichtung sie später einschlagen wollen[5]. Der Ärztetag sprach sich dafür aus, bei der Debatte über den „Masterplan Medizinstudium 2020“ den Fokus nicht auf die landärztliche Versorgung zu richten. Notwendig sei eine interaktive Lehre, fallorientiertes Arbeiten und Lernen[6]. Reine Multiple-Choice-Fragen verleiten zu einem falschen Lernverhalten, während das OSCE-Verfahren (Objective Structured Clinical Examination) den Praxisalltag besser abbilden und sich als valides Instrument zur Prüfung klinisch-praktischer Fertigkeiten erwiesen haben[7].

 

Nicht außer Acht zu lassen ist auch der Umstand, dass durch die Europäische Studienreform (Bologna-Prozess)[8] auch das im Ausland absolvierte Studium in Deutschland anerkannt wird. Viele Studierende absolvieren daher bereits den ersten Studienabschnitt bis zum Physikum im Ausland und wechseln dann ggf. an eine deutsche Universität. Beliebte Länder für ein Medizinstudium im Ausland sind insbesondere die aus Osteuropa: Ungarn, Polen, Kroatien, Lettland und Tschechien. Dort wird vor allem anders examiniert, wesentlich weniger im „Multiple-Choice-Verfahren“, dafür mehr im mündlichen Prüfungsverfahren.

 

Wer im Ausland sein gesamtes Medizinstudium abschließt und danach den ärztlichen Beruf in Deutschland ausüben möchte, muss die Approbation als Arzt aus dem entsprechenden Land nachweisen. Nach der grundlegenden Richtlinie 93/16/EWG[9] wurde zunächst die gegenseitige Anerkennung der ärztlichen Grund- (und Facharzt-) ausbildung in den Mitgliedstaaten geregelt. Es galt das Verfahren der automatischen Anerkennung nach der Richtlinie 2005/36/EG[10]. Sie war die maßgebliche Richtlinie für die Migration von Ärzten im europäischen Wirtschaftsraum und sah die automatische Anerkennung der in der Richtlinie aufgeführten Studienabschlüsse und Facharztbezeichnungen in den Mitgliedstaaten vor. § 3 der BÄO wurde gemäß den Anforderungen der Richtlinie geändert[11]. Darin ist normiert, dass eine nach dem 20. Dezember 1976 in einem der Mitgliedstaaten der EU bzw. des EWR abgeschlossene ärztliche Ausbildung als eine der deutschen vergleichbare Ausbildung gilt. Eine individuelle Gleichwertigkeitsprüfung ist nicht erforderlich. Dies gilt auch einschließlich der ärztlichen Prüfung. Bei später hinzugetretenen Mitgliedstaaten ist auf den jeweiligen Beginn der Ausbildung nach Beitritt abzustellen[12]. Darüber hinaus ist am 1. April 2012 das Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen ("Anerkennungsgesetz")[13] in Kraft getreten. Seither kann die Approbation ganz unabhängig von der Staatsangehörigkeit beantragt werden.


[1] https://www.thieme.de/viamedici/vor-dem-studium-zulassung-1494/a/arzt-ohne-abi-20543.htm
[2] ebendiese
[3] Vgl. zu Folgendem: http://www.bundesaerztekammer.de/ueber-uns/landesaerztekammern/aktuelle-pressemitteilungen/news-detail/bei-kampf-gegen-aerztemangel-bereits-im-medizinstudium-ansetzen/
[4] http://www.bundesaerztekammer.de/aerztetag/119-deutscher-aerztetag-2016
[5] ebendiese
[6] ebendiese
[7] ebendiese
[8] https://www.bmbf.de/de/der-bologna-prozess-die-europaeische-studienreform-1038.html
[9] Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 5. April 1993 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise
[10] Richtlinie 2005/36/EG des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen; Die Freizügigkeit und die gegenseitige Anerkennung der  Ausbildungsnachweise der Ärzte, Krankenschwestern und Krankenpfleger, die für die allgemeine Pflege verantwortlich sind, Zahnärzte, Tierärzte, Hebammen, Apotheker und Architekten sollte sich auf den Grundsatz der automatischen Anerkennung der Ausbildungsnachweise im Zuge der Koordinierung der Mindestanforderungen an die Ausbildung stützen.
[11] § 3 Abs 1 Satz 2 BÄO
[12] § 3 Abs 2 BÄO
[13] Bundesgesetzblatt Jahrgang 2011 Teil I Nr. 63, ausgegeben zu Bonn am 12. Dezember 2011 Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen vom 6. Dezember 2011. Mit dem Anerkennungsgesetz des Bundes werden die Verfahren zur Bewertung ausländischer Berufsqualifikationen im Zuständigkeitsbereich des Bundes vereinfacht, vereinheitlicht und für bisher nicht anspruchsberechtigte Zielgruppen geöffnet.

Der "Masterplan Medizinstudium 2020"- Reformversuch ohne Reform?

 

Ein Kommentar von Jörg Andreas Müller; Medizinstudent im 6.Semester

 

Die große Koalition sieht Reformbedarf bei der Ausbildung der jungen Ärztinnen und Ärzte dieses Landes. Das Studium soll jetzt durch den sogenannten "Masterplan Medizinstudium 2020" in eine bessere Zukunft geführt werden. Darin werden Ideen für eine Veränderung der Bewerbungs-verfahren sowie eine stärkere Implementierung der Allgemeinmedizin im Studienalltag gefordert.

 

So sollen mehr Studienplätze für diejenigen zur Verfügung gestellt werden, die sich bereits vor dem Studium dazu verpflichten als Landärzte zu arbeiten.

Immer mehr deutsche Universitäten versuchen unterdessen ihre eigene Reform des Medizinstudiums umzusetzen. So führten zum Beispiel die Universitäten Berlin, Hannover und Aachen eigene Studienmodelle ein. Alle anders- alle mit ihren individuellen Stärken und Schwächen.

 

Das Medizinstudium als Experiment, so mutet es dem betroffenen Studenten an. Anstatt Schritt für Schritt einige wenige Neuerungen einzuführen und diese dann auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen, entsteht eine Umbruchsituation. Diese kann nicht nach ein oder zwei Jahren evaluiert werden. Das Ergebnis sieht man erst bei den besseren oder schlechteren Ärztejahrgängen in der Arbeitswelt, nach dem sechsjährigen Studium. Ein Umstand den wir uns gesellschaftlich meines Erachtens nicht leisten können.

 

Das angestrebte Umdenken bei den Auswahlverfahren greift insgesamt zu kurz. Zwar glaube auch ich, dass die Abiturnote nicht viel darüber aussagt, ob jemand ein besonders empathischer Mensch ist. Auch die Begabung besonderes kreativ mit naturwissenschaftlichen Fragestellungen umzugehen, wird durch dieses Kriterium nicht erfasst. Aber als ein neues Zulassungskriterium die Verpflichtung Landarzt zu werden einzuführen, halte ich wiederum für einen wenig sinnvollen Ansatz, da 18 jährigen jungen Menschen eine derart einschneidende Entscheidung über ihren weiteren Berufsweg abzuringen und ihnen dadurch ggf. die vielen Möglichkeiten in der Medizin zu verwehren, keine wirkliche Option darstellen kann. Als zentrale Auswahlkriterien sollten sowohl naturwissenschaftliche Begabung, als auch zwischen-menschliche Kompetenzen herangezogen werden.

 

Die Verschränkung der Gedanken auf die Allgemeinmedizin ist auch aus einem anderen Grund verfänglich: das Verschlafen der Entwicklungen der digitalen Revolution. Durch den aufkeimenden Markt an „smartwatches“ und „Gesundheits-Apps" wird die Allgemeinmedizin grundsätzlich verändert. Wenn die „Applewatch“ in Zukunft die Blutzucker- und Cholesterinwerte bestimmt und die Patienten zielgerichtet zu den entsprechenden Fachärzten schickt, wofür brauche ich dann noch den Allgemeinmediziner? Das Berufsbild des Hausarztes müsste sich grundlegend verändern: der Hausarzt müsste zum seelischen Beistand werden, der mit Rat und Tat seinen Patienten zur Seite steht. Aber dafür ist das Medizinstudium heutzutage nicht ausgelegt. Es wäre also eine inhaltlich völlig andere Reform der Allgemeinmedizin notwendig.

 

Für mich sind die Ideen des Reformvorhabens zwar Antworten auf die medial diskutierten Probleme des Gesundheitswesens, aber keine adäquaten Lösungen für die Probleme der Medizin der Zukunft. So wird nicht ausreichend über die Prüfungsmodalitäten des Studiums nachgedacht. Meiner Erfahrung nach, ist es die am wenigsten nachhaltige Form der Wissensüberprüfung Multiple-Choice-Fragen in Klausuren zu stellen. Dabei wird der Student dazu gebracht hauptsächlich altklausurbezogen zu lernen und sich auf Detailwissen zu fokussieren. Das tiefere Verständnis des Lehrstoffes steht damit nicht mehr im Kern des Interesses. Die Problematik, die sich daraus ergibt, wird vor allem im klinischen Kontext sichtbar. Der Arzt muss selbst aus den ihm vorliegenden Symptomen eine Diagnose formulieren, welche ihm nicht schon im Vorfeld vorgegeben wurde. Ich halte es deswegen für dringend erforderlich, über mehr mündliche/praktische Prüfungen im Studium nachzudenken.

Es wäre überdies sinnvoll, wenn die technischen Möglichkeiten des 21.Jahrhunderts in den medizinischen Fakultäten ankommen würden, insbesondere wenn die technisch gut umsetzbaren Möglichkeit angeboten würde, ein umfassendes Online-Podcast der Vorlesungen zu erstellen, welcher alle wesentlichen fachlichen Inhalte der einzelnen Fächer umfasst. Es ist bezeichnend, dass kein fester Lernzielkatalog für das Zweite medizinische Staatsexamen existiert. Den für den Arbeitsalltag wichtigen Fachbereichen der Medizininformatik, welche eine Schlüsselrolle in der Medizin der Zukunft einnehmen werden, ist aktuell sogar nur ein minimaler Raum im Regelstudiengang eingeräumt. So verhält es sich auch mit dem Thema des Medizinrechtes.

 

Abschließend ist festzuhalten, dass die Entwicklungen der Zukunft nicht aus dem Blick verloren werden dürfen. In zwanzig bis dreißig Jahren ist die Welt der Medizin eine andere. Unser heutiges Studium bereitet die jungen Ärztinnen und Ärzte aller Voraussicht nach nicht gut auf ihre Zukunft in dieser Arbeitswelt vor. Im Zuge der Digitalisierung wird die Ärzteschaft ihre Rolle in der Gesellschaft grundlegend neu finden müssen. Die erforderlichen Bedingungen dafür wären in einer Reform "Masterplan Medizinstudium 2020" hinreichend zu berücksichtigen.

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