BGH, Beschluss v. 22.12.2015 – VI ZR 67/15 - Behandlungsfehler beim Absehen von einer ärztlichen Maßnahme und einer daraus resultierenden Abweichung vom Facharztstandard
Im entschiedenen Fall stellte sich heraus, dass die Zugänge zu einem Bypass verstopft waren, so dass eine erneute Operation erforderlich war. Der Patient wurde allerdings zunächst nach Hause entlassen und suchte dann eine entsprechende Fachklinik auf. Zu der geplanten Operation kam es dort nicht mehr. Die Witwe des Patienten machte geltend, die Ärzte hätten die Herzkatheteruntersuchung viel früher veranlassen müssen. Statt ihn nochmals nach Hause zu entlassen, hätte der Mann aus dem örtlichen Krankenhaus sofort in die Fachklinik überwiesen werden müssen; eine massiv angestaute Halsvene habe bereits früh auf Probleme mit den Herzklappen hingedeutet. Die Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung wurde zunächst abgewiesen. Die Nichtzulassungs- beschwerde der Klägerin hingegen hatte Erfolg.
Der 1932 geborene Ehemann der Klägerin hatte im Jahre 1995 nach einem Hinterwandinfarkt und der Diagnose einer Herzkranzgefäßerkrankung eine Bypassoperation. Seitdem stellte er sich einmal
jährlich zur kardiologischen Kontrolle bei dem Beklagten zu 2 vor. Im Jahr 2003 wurde eine mäßiggradige Mitralklappeninsuffizienz und eine Trikuspidalklappeninsuffizienz II diagnostiziert.
Darüber hinaus litt der Ehemann der Klägerin unter Bluthochdruck, Fettwechselstörungen, einer chronisch obstruktiven Bronchitis und einem Leberschaden. Im November 2007 suchte er den Beklagten zu
2 auf und klagte über Atemnot. Am 14. November 2007 wurde er in dem von der Beklagten zu 1 betriebenen Krankenhaus wegen des Verdachts eines Herzinfarktes stationär aufgenommen. Dort befand er
sich bis zum 21. November 2007. Nach Einstellung auf Marcumar wurde er am 21. November 2007 entlassen. Am 23. November 2007 erfolgte nach erneuter Verschlimmerung der Beschwerden eine erneute
Einweisung in das von der Beklagten zu 1 betriebene Krankenhaus. Es erfolgte eine ambulante Behandlung und er erhielt eine neue Medikation. Am 20. Dezember 2007 stellte sich der Ehemann der
Klägerin bei dem Beklagten zu 2 aufgrund weiterhin bestehender Kurzatmigkeit vor. Der Beklagte zu 2 veranlasste eine Röntgenaufnahme der Lunge und am nächsten Tag ein CT wegen des Verdachts einer
Zwerchfellentzündung. Die Auswertung des CTs ergab, dass sich Wasser in der Lunge befand, weshalb der Beklagte zu 2 den Ehemann der Klägerin zur Punktion in das von der Beklagten zu 1 betriebene
Krankenhaus überwies. Außerdem diagnostizierte der Beklagte zu 2 eine Blutsenkung, die auf eine Entzündung hinwies. Er verschrieb dem Ehemann der Klägerin deshalb das Antibiotikum Amoclav. Die
Punktion konnte wegen der Einnahme von Marcumar erst am 27. Dezember 2007 durchgeführt werden. Dabei wurden 1500 ml Wasser entzogen. Am 29. Dezember 2007 wurde der Ehemann der Klägerin entlassen.
Nach einer weiteren Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands stellte er sich erneut am 24. Januar 2008 bei dem Beklagten zu 2 vor. Dieser veranlasste die Überweisung in die
Thoraxchirurgie der A. Klinik H. zur Abklärung von Pleuraergüssen. Dort befand sich der Ehemann der Klägerin in der Zeit vom 7. Februar bis zum 20. Februar 2008. Es wurde eine erneute
Pleurapunktion durchgeführt. Der Ehemann der Klägerin erhielt darüber hinaus Antibiotika. Eine pulmologisch zu erklärende Pathologie konnte nicht gefunden werden. Am 14. März 2008 stellte sich
der Ehemann der Klägerin erneut beim Beklagten zu 2 vor. Dieser veranlasste die notfallmäßige Einweisung in das von der Beklagten zu 1 betriebene Krankenhaus wegen des Verdachts auf
Darmverschluss. Dort wurden erhöhte Entzündungswerte diagnostiziert und Antibiotika verordnet. Am 1. und 2. April 2008 erfolgten in dem von der Beklagten zu 1 betriebenen Krankenhaus
Echokardiographien. Diese erbrachten den Befund einer schweren operationsbedürftigen Mitralklappeninsuffizienz. Eine am 4. April 2008 vorgenommene Herzkatheteruntersuchung bestätigte diesen
Befund und ergab die Notwendigkeit einer erneuten Bypassoperation wegen verstopfter Zugänge. Diese sollte im A. Krankenhaus durchgeführt werden. Der Ehemann der Klägerin wurde zunächst am 4.
April 2008 nach Hause entlassen und stellte sich am 8. April 2008 im A. Krankenhaus vor. Zu der geplanten Operation kam es aber nicht mehr, weil der Ehemann der Klägerin am 10. April 2008
verstarb.
Das Absehen von einer ärztlichen Maßnahme ist nicht erst dann behandlungsfehlerhaft, wenn die Maßnahme „zwingend“ geboten war, sondern bereits dann, wenn ihr Unterbleiben dem im Zeitpunkt der
Behandlung bestehenden medizinischen Standard zuwiderlief. Der Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten
Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen
Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat.
Quelle: Link
Bundessozialgericht, Urteil vom 17.11.2015 – B 1 KR 18/15R - Zur Kostentragungspflicht der GKV einer aus überwiegend strahlenschutzrechtlich begründeten stationären
Radiojodtherapie
Der Terminsbericht des BSG lautet wie folgt: "Der Senat hat die Revision der beklagten Krankenkasse zurückgewiesen: Die klagende Krankenhausträgerin hat Anspruch auf 2836,39 Euro Vergütung. Die
vollstationäre Behandlung der Versicherten war im Rechtssinne aus allein medizinischen Gründen erforderlich. Hierfür genügt es, dass die Versicherte medizinisch dieser Therapie bedurfte und die
Behandlung strahlenschutzrechtlich nur stationär erbracht werden darf." (Link)
Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die Radiojodtherapie bei der Patientin medizinisch erforderlich war. Aus rein medizinischen Gründen bestand keine Erforderlichkeit, dass die Patientin im
Krankenhaus stationär behandelt wurde. In Deutschland ist jedoch - anders als in anderen europäischen Staaten - die ambulante Radiojodtherapie aufgrund der strahlenschutzrechtlichen Vorgaben
(Strahlenschutzverordnung in Verbindung mit der Richtlinie „Strahlenschutz in der Medizin“) nicht zugelassen. Eine Trennung der medizinisch notwendigen Verabreichung des Radiopharmakons von der
stationären Unterbringung ist daher nicht möglich.
Die zuständige Krankenkasse vertrat die Auffassung, dass die GKV nicht als Kostenträger für einen stationären Aufenthalt in Folge einer Radiojodtherapie in Frage komme, da dieser sich nach
Einnahme des Radiopharmakons allein aufgrund der Strahlenschutzvorschriften ergebe. Die strahlenschutzrechtlichen Vorschriften sehen vor, dass für diese Behandlung eine mindestens 48-stündige
stationäre Aufnahme des Patienten auf einer geeigneten nuklearmedizinischen Station erforderlich ist, da in diesem Zeitraum mehr als 90 % der radioaktiven Ausscheidungen erfolgen. Weiterhin
stellte die Krankenkasse in Frage, ob sich die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit aus der Notwendigkeit der Einhaltung der Strahlenschutzvorschriften ergeben kann, ohne dass es auf den
individuellen Gesundheitszustand der Patienten ankomme.
Die Vorinstanz, das Sozialgericht Dresden vom 27.02.2015, Az.: S 47 KR 439/12, hatte der Klage stattgegeben. Die Sprungrevision war zugelassen worden, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung
hatte.
Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 17.11.2015 die Revision der Krankenkasse zurückgewiesen. Begründet wurde diese Entscheidung mündlich kurz damit, dass die Behandlung erforderlich und
wirtschaftlich war. Die stationäre Krankenhausbehandlung richte sich allein nach medizinischen Erfordernissen. Für die Erforderlichkeit komme es auf den Einzelfall an, wobei die rechtlichen
Strukturvorgaben zu beachten seien. Die Radiojodtherapie sei in Deutschland nur stationär möglich, sie war medizinisch notwendig und damit war die Krankenhausbehandlung erforderlich. Das BSG
verwies darauf, dass die ambulante Radiojodtherapie in Deutschland nicht zulässig sei und deshalb von der GKV nicht erstattet werden dürfe.
Diese Entscheidung wurde sowohl von Krankenhausseite, als auch von Seiten der Krankenkassen und sonstigen Beteiligten mit Spannung erwartet. Dadurch besteht nun Rechtssicherheit für die jährlich
ca. 50.000 in Deutschland durchgeführten Radiojodtherapien.
Vorangegangene Entscheidungen: Sozialgericht Dresden vom 27.02.2015, Az.: S 47 KR 439/12, ebenso Sozialgericht Dortmund vom 23.09.2002, ergänzend BSG vom 09.10.2001, B 1 KR 26/99 R zur Frage des Anspruchs auf Erstattung einer ambulanten Radiojodtherapie im Ausland durch die GKV.
BGH, Urteil vom 17.11.2015, Az. VI ZR 476/14 - Unterscheidung zwischen ärztlichen Befunderhebungsfehler und therapeutischer Aufklärung
Wenn ein hausärztlicher Internist einen stark übergewichtigen Patienten mit Bluthochdruck, Diabetes und einer Störung des Fettstoffwechsels im Zusammenhang mit mehreren (Folge-)Untersuchungen mit Blutentnahme, EKG und Belastungs-EKG bei der Empfehlung weiterer Befunderhebungen nicht über ein bestehendes Herzinfarktrisiko aufklärt, liegt darin ein Behandlungsfehler.
Ob dieser Behandlungsfehler als grob zu bewerten ist, unterliegt der Einzelfallbeurteilung. Wurde einem Patienten zwar nicht die Dringlichkeit jedoch die Notwendigkeit weiterer empfohlener diagnostischer Maßnahmen vermittelt, war im vorliegenden Einzelfall ein grober Behandlungsfehler zu verneinen.
Unterlässt es ein Arzt, den Patienten über die Dringlichkeit der - ihm ansonsten zutreffend empfohlenen - medizinisch gebotenen Maßnahmen zu informieren und ihn vor Gefahren zu warnen, die im
Falle des Unterbleibens entstehen können, liegt grundsätzlich ein Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Beratung des Patienten vor.
Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit ärztlichen Fehlverhaltens liegt dann nicht in der unterbliebenen Befunderhebung, sondern in dem Unterlassen von Warnhinweisen zum Zwecke der
Sicherstellung des Behandlungserfolgs.
Daher kommt den klagenden Erben des zwischenzeitlich verstorbenen Patienten keine Beweislastumkehr hinsichtlich der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den Tod des Patienten zugute. Zwar kann auch ein einfacher Befunderhebungsfehler zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen. Allerdings wurde das Unterlassen einer Aufklärung über die Dringlichkeit der weiter angeratenen diagnostischen Maßnahmen nicht als Befunderhebungsfehler, sondern als einfacher Fehler im Rahmen der therapeutischen Aufklärung gewertet, welcher eine Beweislastumkehr nicht begründen kann.
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urt. v. 29.10.2015, Az. L 5 KR 745/14 KL - Nachschusspflicht des Bundes
Das LSG NRW hat entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland der AOK Rheinland/Hamburg mehr als 60 Millionen Euro aus dem Gesundheitsfonds nachzahlen muss.
OLG Oldenburg, Urt. v. 28.10.2015 – 5 U 156/135 U - Zur Beweiserhebung im Zivilprozess
Fotos auf dem Mobiltelefon werden im Rahmen des Arzthaftungsprozesses als Beweismittel anerkannt. Das Oberlandesgericht zeigte sich von einem groben Behandlungsfehler des zuständigen Pflegers
überzeugt, der in der besagten Nacht nicht umgehend eine ärztliche Notfalltherapie veranlasst hatte. Im Rahmen des Berufungsverfahrens ließ das Gericht das Mobiltelefon durch einen technischen
Sachverständigen auswerten und kam zu dem Ergebnis, dass die vorgelegten Bilder tatsächlich in der Nacht aufgenommen worden seien.
Das OLG Oldenburg hat ein Krankenhaus verurteilt, einem Kind wegen einer zu spät erkannten Hirnhautentzündung Schmerzensgeld und Schadensersatz zu leisten. Einem fünf Jahre alten Jungen waren
2011 deshalb beide Unterschenkel amputiert worden. Trotz zahlreicher Haut- und Muskeltransplantationen muss der Junge bis heute einen Ganzkörperkompressionsanzug sowie eine Kopf- und
Gesichtsmaske tragen, um eine wulstige Narbenbildung zu vermeiden.
Das beklagte Krankenhaus wurde auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 350.000,-€ und Schadensersatz in Anspruch genommen. Zum Beweis für das Vorliegen von Hautverfärbungen bei dem Jungen
in der Nacht legten dessen Eltern Lichtbilder des Mobiltelefons der Mutter vor. Das Landgericht zeigte sich von einem groben Behandlungsfehler des zuständigen Pflegers überzeugt, der in der
besagten Nacht nicht umgehend eine ärztliche Notfalltherapie veranlasst hatte.
Im Rahmen des Berufungsverfahrens ließ das Gericht das Mobiltelefon sogar durch einen technischen Sachverständigen auswerten. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die vorgelegten Bilder
tatsächlich in der maßgeblichen Nacht aufgenommen worden seien. Über die Höhe des Schmerzensgeldes und der Schadensersatzansprüche hat das Landgericht Aurich noch zu befinden.
Oberlandesgericht Hamm Urt. v. 27.10.2015, Az. 26 U 63/15 - 100.000 EUR Schmerzensgeld
Das OLG Hamm gab der Klage eines Witwers statt, der ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 Euro einklagte. Die verstorbene Frau hatte 2009 die Gemeinschaftspraxis der Ärzte in Paderborn wegen der
Verfärbung eines Zehennagel nach einer Stoßverletzung besucht. Auf Anraten der Ärzte reichte die Frau eine Nagelprobe ein, die sodann histologisch untersucht wurde. Bis auf einen bakteriellen
Infekt wies das Ergebnis aber keine Auffälligkeiten auf, sodass weitere Behandlungen oder Untersuchungen unterblieben. Erst nachdem sich die Verfärbung auch im Folgejahr nicht zurückgebildet
hatte, suchte die Patientin erneut einen Hautarzt auf, der schließlich eine Krebserkrankung diagnostizierte. Im Dezember 2013 verstarb die Frau. Es hatten sich inzwischen Metastasen in Lunge und
Lymphknoten gebildet.
Die Klage des Ehemanns ist erfolgreich gewesen, weil einer der beklagten Ärzte, der die Verstorbene 2009 behandelt hatte, es versäumt habe, eine ausreichende histologische Untersuchung zum
Ausschluss einer Krebserkrankung sicherzustellen, entschied das OLG. Obwohl die Patientin nur von einer Stoßverletzung berichtet hatte, sei eine umfassende Differenzialdiagnostik notwendig
gewesen. Die tatsächlich durchgeführte histologische Untersuchung sei dagegen unzureichend gewesen, weil die Nagelprobe nicht aus dem Bereich der möglichen Krebs-erkrankung stammte. Man habe es
stattdessen der ahnungslosen Patientin überlassen, welcher Teil des Nagels untersucht werde, erläuterte das OLG. Die Richter sahen in dem Verhalten der beklagten Ärzte "jedenfalls in der
Gesamtheit" einen groben Behandlungsfehler. Dieser führe zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich der zurechenbaren Folgen.
OLG Hamm, Urt. v. 23.10.2015, Az.26 U 182/13 - Aus der Art der Verletzung der Speiseröhre in Folge einer WIrbelsäulenbehandlung kann auf einen ärztlichen Behandlungsfehler geschlossen werden
Kommt es bei einer Operation an der Halswirbelsäule zu einer Verletzung der Speiseröhre, so kann aus der Art der Verletzung auf einen Behandlungsfehler geschlossen werden. Es kann sich der
Rückschluss ergeben, dass die Präparation nicht regelrecht erfolgt ist und die Verletzung verursacht hat. Eine solche Schlussfolgerung ist dann gerechtfertigt, wenn nur so das Schadensbild zu
erklären ist. Für die Verletzung der Speiseröhre kann ein Schmerzensgeld von 20.000 € angemessen sein.
Wird die Speiseröhre im Verlauf einer Operation trotz fachgerechten ärztlichen Vorgehens verletzt, ist dies dann als Behandlungsfehler zu werten, wenn die Verletzung durch eine ärztliche
Überprüfung der Lage der Speiseröhre während der Operation zu vermeiden war. Das Oberlandesgericht Hamm hat in diesem Zusammenhang einem Patienten, der aufgrund der Verletzung seiner
Speiseröhre mehrere Monate mittels einer Magensonde ernährt werden musste und dauerhaft durch Schluckbeschwerden beeinträchtigt ist, ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro zugebilligt.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 29.09.2015 – 26 U 1/15 - Vertrauendürfen auf Bevollmächtigung des abwesenden Sorgeberechtigten
Abhängig von der Schwere des Eingriffs darf ein Arzt entsprechend der so. „Drei-Stufen-Theorie“ darauf vertrauen, dass der abwesende sorgeberechtigte Elternteil den erschienen Elternteil zur
Einwilligung in den ärztlichen Eingriff entsprechend bevollmächtigt hat.
Die Eltern eines verstorbenen Frühchens hatten einen Arzt wegen vermeintlicher Behandlungsfehler sowie wegen eines Aufklärungsmangels verklagt. Das Aufklärungsgespräch vor der operativen Biopsie
des Neugeborenen sei allein mit der Mutter geführt worden; der Vater habe nicht in die Operation eingewilligt. Das OLG stufte die durchgeführte Biopsie als leichten bis mittelgradigen Eingriff
mit normalen Anästhesierisiken ein. Für solche Eingriffe sei es nach der o.g. Theorie hinreichend, dass sich der Arzt, der die Aufklärung über den vorzunehmenden Eingriff durchführt, bei der
Klägerin nach der Einwilligung des Klägers erkundigt habe. Die Einwilligung wurde durch die Unterschrift der Klägerin auf dem Aufklärungsbogen bestätigt.
In Routinefällen (Ausnahmefall 1) dürfe der Arzt - bis zum Vorliegen entgegenstehender Umstände - davon ausgehen, dass der mit dem Kind bei ihm erscheinende Elternteil die Einwilligung in die
ärztliche Behandlung für den anderen Elternteil miterteilen dürfe. Gehe es um ärztliche Eingriffe schwerer Art mit nicht unbedeutenden Risiken (Ausnahmefall 2), müsse sich der Arzt vergewissern,
ob der erschienene Elternteil die Ermächtigung des anderen Elternteils habe und wie weit diese reiche. Dabei dürfe er aber - bis zum Vorliegen entgegenstehender Umstände – davon ausgehen, vom
erschienenen Elternteil eine wahrheitsgemäße Auskunft zu erhalten. Gehe es um schwierige und weitreichende Entscheidungen über die Behandlung des Kindes (Ausnahmefall 3), etwa um eine
Herzoperation, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden seien, liege eine Ermächtigung des abwesenden Elternteils zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff durch den anwesenden
Elternteil nicht von vornherein nahe. Deshalb müsse sich der behandelnde Arzt in diesen Fällen deutlich darüber vergewissern, dass der abwesende Elternteil mit der Behandlung
einverstanden sei.
Das OLG Hamm stufte die durchgeführte Biopsie als leichten bis mittelgradigen Eingriff mit normalen Anästhesierisiken ein, weswegen es ausreichend gewesen sei, dass sich der das
Aufklärungsgespräch führende Arzt bei der Klägerin nach der Einwilligung des Klägers lediglich erkundigt habe. Bei dem ärztlichen Aufklärungsgespräch im entschiedenen Fall war nur die Mutter
anwesend, sie unterschrieb auch den anästhesistischen Aufklärungsbogen allein. Der das Aufklärungsgespräch führende Arzt hatte sich jedoch bei der Mutter nach der Einwilligung des Vaters
erkundigt und sich diese durch die Unterschrift auf dem Aufklärungsbogen, der einen entsprechenden Hinweis enthielt, bestätigen lassen und sich die Einwilligung durch die Unterschrift der
Klägerin auf dem Aufklärungsbogen mit entsprechendem Hinweis habe bestätigen lassen.
OLG Naumburg, Urteil vom 24.9.2015 - 1 U 132/14 - lückenhafte ärztliche Dokumentation als Behandlungsfehler sowie zulässige Abweichung vom medizinischen Standard
1. Macht der Patient mehrere selbständige prozessuale Schmerzensgeldansprüche geltend, mit denen er in erster Instanz abgewiesen wird, ist im Falle der Aufrechterhaltung dieses Begehrens im Berufungsrechtszug eine Begründung für jeden dieser Ansprüche nötig.
2. Äußert der Sachverständige in seinem Gutachten Kritik an der ärztlichen Dokumentation und bezeichnet diese auch mit Blick auf die Weiterbehandlung des Patienten als lückenhaft, muss das Gericht dies zur Kenntnis nehmen und sich mit den Konsequenzen dieser Lücken im Einzelfall befassen.
3. Behauptet die Behandlungsseite entgegen der Vermutung des Sachverständigen einen Routineeingriff, der keine weitergehende Dokumentation erfordert habe, trägt sie dafür die Darlegungs- und Beweislast.
4. Ist bei der operativen Versorgung einer Dünndarmserosaläsion darauf zu achten, dass es zu keiner lumeneinengenden Nahtführung kommt und sich der Dünndarm auch nach dem Ende des Eingriffs als ausreichend durchgängig erweist, führt die ein solches Vorgehen pflichtwidrig aussparende Dokumentation im Prozess zu der Annahme, dass beides unterblieb. Der Behandlungsseite steht allerdings der Nachweis einer fehlerfreien Behandlung offen.
5. Die bei der Versorgung einer Darmserosaverletzung normalerweise nicht dem medizinischen Standard entsprechende Längsnaht muss kein Behandlungsfehler sein. Sachgerechtes ärztliches Vorgehen kann eine Abweichung vom Standard gebieten, wenn die konkrete Behandlungssituation auf Grund ihrer Besonderheiten eine modifizierte Strategie verlangt. Die dies rechtfertigenden Umstände hat die Behandlungsseite darzulegen und zu beweisen. Der Beweis ist geführt, wenn der Sachverständige feststellt, die Ärzte hätten sich überraschend einer komplizierten nicht nach Standard beherrschbaren Situation gegenüber gesehen, in der sie sich zwischen zwei Übeln hätten entscheiden müssen, von denen das kleinere gewählt worden sei.
6. Eine pflichtwidrig lückenhafte Dokumentation kann ein Behandlungsfehler sein, wenn die fehlenden Angaben in der Weiterbehandlung des Patienten zu vermeidbaren medizinischen Defiziten und dadurch zu einem Schaden führen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.09.2015, Az. XI R 31/13 - Sog. "Tumormeldungen" eines Arztes für ein Krebsregister sind keine umsatzsteuerfreien Heilbehandlungen
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine aus den Ärzten Dr. A1 und A2 bestehende GbR, betrieb in den Jahren 2004 und 2005 eine urologische Gemeinschaftspraxis. Die Klägerin erbrachte
in den Streitjahren sog. "Tumormeldungen" für ein Krebsregister. Sie meldete auf einem einheitlichen Formblatt bestimmte Identitätsdaten (z. B. Familienname, Vorname, Anschrift und Geburtsdatum)
von Patienten und deren epidemiologische Daten (z. B. Tumordiagnose, Lokalisation des Tumors und Art der Therapie) an eine Klinik als "zentrale Anlaufstelle" zur Weiterleitung der
Tumordokumentationen an das Krebsregister und erhielt für jede vorgenommene "Tumormeldung" eine pauschale Vergütung von der Klinik. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) umfasste die
jeweilige "Tumormeldung" lediglich eine reine Dokumentation erfolgter Behandlungen von Krebspatienten und erforderte keine weitere gutachterliche oder fachliche Tätigkeit des Arztes.
Die entsprechenden Umsätze sah die Klägerin als nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung (UStG) steuerfrei an. Einkommen aus Tätigkeiten, die
nicht als direkte Heilbehandlung am Patienten betrachtet werden können, sind umsatzsteuerpflichtig. Eine reine Dokumentation erfordert gerade nicht die gutachterliche oder fachliche Tätigkeit
eines Arztes.
OLG Frankfurt Beschl. v. 4.9.2015 - 5 UF 150/15
Impfung von Kindern – Zustimmung beider Eltern ist erforderlich.
Beschluss des AG Darmstadt (50 F 39/15 SO; s.u.) wurde wieder aufgehoben. Anders als das Ausgangsgericht wurde die Annahme bejaht, dass es sich hier um Entscheidungen von erheblicher Bedeutung
handeln würde, was daran festgemacht wurde, dass jede Impfung die Gefahr von Risiken und Komplikationen mit sich brächte. Dabei wurde verdeutlicht, dass hier nicht zwischen der Art der Impfung
unterschieden werde könne, dergestalt etwa, ob es sich hier um eine empfohlene Impfung (hier als Teil der U-Untersuchung), handele oder nicht (ähnlich bereits im Jahre 2005 KG (Berlin) Beschl. v.
18.5.2005 - 13 UF 12/05).
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.08.2015 – L 5 KA 5076/14 ER-B - Anstellungsnachfolge: Zugehörigkeit zur selben Arztgruppe entscheidend
Die Stelle eines angestellten Arztes kann bei Vorliegen von Zugangsbeschränkungen nur mit einem Arzt derselben Arztgruppe im Sinne des Bedarfsplanungsrechts nachbesetzt werden. Fachärzte für
Orthopädie und Chirurgie gehören einer anderen Arztgruppe an als Chirurgen.
Dies hat das LSG Baden-Württemberg entschieden. Die Ausnahmeregelung § 16 BPl-RL finde ihrem eindeutigen Wortlaut nach nur auf die Praxisnachfolge und nicht im Fall der Genehmigung der
Nachbesetzung eines angestellten Arztes Anwendung.
Die Kläger begehrten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Genehmigung, einen neuen Arzt im Rahmen der Anstellungsnachfolge in ihrer Praxis zu beschäftigen.
Hessissches Landessozialgericht Urt. v. 14.07.2015, Az. L 3 U 132/11 - Hepatitis-C-Infektion als Berufskrankheit einer Krankenschwester anerkannt
Das Hessische Landessozialgericht hat die Berufsgenossenschaft verpflichtet, die Hepatitis-C-Infektion einer Krankenschwester, die monatlich etwa 400 Blutabnahmen durchführte, als Berufskrankheit
anzuerkennen und sie zu entschädigen. Bei ihrer Tätigkeit sei sie einem besonders erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen, urteilten die Richter.
OLG Hamm, Urt. v. 03.07.2015 – 26 U 104/14 - Befunderhebungsfehler bei erhöhten Blutdruck einer adipösen und nikotinabhängigen 15 jährigen
Wird bei einer jugendlichen Patientin von 15 Jahren, die zudem stark adipös (BMI von 37) und nikotinabhängig ist, die Ursache eines erhöhten Blutdrucks (160/100) nicht abgeklärt, ist der
Hausärztin ein Befunderhebungsfehler zur Last zu legen. Kommen deutliche weitere Alarmzeichen im weiteren Verlauf der Behandlung hinzu, wie im vorliegenden Fall mehrfache Bewusstlosigkeiten und
starke Kopfschmerzen hinzu, ist die mangelnde Befunderhebung auch als grober Behandlungsfehler zu werten.
Für den Verlust beider Nieren, der daraus resultierenden Dialysepflicht und 53 Folgeoperationen, darunter sogar eine erfolglose Nierentransplantation, ist bei der Patientin ein Schmerzensgeld von
€ 200.000,- nach Ansicht des Gerichtes angemessen.
LG Bonn, Urt. v. 19.06.2015 - 9 O234/14 - Auch der Heilpraktiker muss korrekt über mögliche Folgen der Behandlung aufklären.
Unabhängig davon, ob man zum Arzt oder zum Heilpraktiker geht: Bei Behandlungsfehlern hat man Anspruch auf Schadensersatz und gegebenenfalls Schmerzensgeld. Auch der Heilpraktiker muss korrekt über mögliche Folgen der Behandlung aufklären. In der Aufklärung muss die Formulierung, dass es „in seltenen Fällen“ zu bestimmten Schwierigkeiten kommen könne, so verwendet werden wie in den Beipackzetteln von Arzneimitteln.
Das Landgericht in Bonn hat am 19. Juni 2015 einem Patienten 2.500 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Der behandelnde Heilpraktiker hatte nicht nur nicht richtig über mögliche Nebenwirkungen
aufgeklärt, sondern es waren ihm darüber hinaus noch Behandlungsfehler unterlaufen.
Der Patient ließ sich in einer Naturheilpraxis für traditionelle chinesische Medizin behandeln. Hintergrund waren Spannungsschmerzen an beiden Augen, geschwollene Augenlider und Heuschnupfen. Der
Heilpraktiker wollte eine Behandlung mit Hilfe von Moxabustion (Wärmebehandlung) durchführen. In der Leistungsvereinbarung hieß es, dass es „in seltenen Fällen“ zu Brandblasen kommen könne.
Bei der Wärmebehandlung werden Nadeln gesetzt. Auf den Nadeln verglimmen kleine Mengen von getrockneten Kräutern. Bei einer solchen Behandlung wurden bei dem Mann die Nadeln am rechten Bein
oberhalb des Sprunggelenks gesetzt. Der Patient verbrannte sich dabei. Die Brandblase verheilte nur langsam und hinterließ eine 2 × 3 cm große Narbe. Der Mann erfordert Schadensersatz und
Schmerzensgeld.
Die Klage hatte Erfolg. Das Gericht holte ein Gutachten durch einen Sachverständigen ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass es bei dieser Art der Behandlung „oft“ zu Brandblasen komme, nach seiner
Einschätzung in etwa ein Prozent der Fälle.
Das Gericht sah deshalb eine falsche Aufklärung als gegeben. Patienten dürften sich bei solchen Formulierungen an denen in Beipackzetteln von Arzneimitteln orientieren. Dort heißt es, „in
seltenen Fällen“ bedeute in mehr als 0,01 Prozent und weniger als 0,1 Prozent der Fälle. Das bedeute ein bis zehn von 10.000 behandelten Personen.
Des Weiteren stellte der Sachverständige insgesamt zwei Behandlungsfehler fest. Zum einen sei die Moxabustion bei solchen Beschwerden völlig ungeeignet. Der Heilpraktiker habe somit eine
untaugliche Behandlungsmethode gewählt. Als heilpraktische Methode komme hier die Akupunktur in Betracht.
Auch bei der Durchführung der Behandlung habe der Heilpraktiker einen Fehler begangen: Wegen der relativ hohen Verbrennungsgefahr sei es notwendig, die Behandlung ununterbrochen zu
beaufsichtigen. Das sei nicht geschehen.
BGH Beschluss vom 16.06.2015 – VI ZR 332/14 - tatrichterliche Sorgfaltspflicht bei Sachverständigengutachten
Der Tatrichter hat darauf hinzuwirken, dass sich der gerichtlich bestellte Sachverständige mit den im jeweiligen Einzelfall einschlägigen Leitlinien und ihrer Bedeutung für die Beurteilung des zu entscheidenden Falles auseinandersetzt. Zwar dürfen Leitlinien nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden und ersetzen kein Sachverständigengutachten, sie können aber im Einzelfall den medizinischen Standard für den Zeitpunkt ihres Erlasses zutreffend beschreiben.
weitere Fundstelle: ZMGR 2015, 318
AG Darmstadt, Beschl. v. 11.6.2015 - 50 F 39/15 SO (aufgehoben durch OLG Frankfurt 5 UF 150/15 s.o.)
Impfung von Kindern – Mutter ist alleinentscheidungsbefugt.
Die Eltern zweier Kinder, die bei der Kindesmutter lebten, konnten sich nicht darüber verständigen, ob sie die Impfungen gegen Keuchhusten, Pneumokokken,
Tetanus sowie Diphtherie, die eine Empfehlungen der STIKO (ständige Impfkommission) darstellen, an den Kindern durchführen lassen. Nachdem der Vater der Kinder seine Zustimmung verweigerte,
beantragte die Kindesmutter, ihr die Alleinentscheidungsbefugnis hinsichtlich der Durchführung der Impfungen zu übertragen. Gericht beschloss, die Mutter müsse allein darüber entscheiden können,
ob die Kinder geimpft werden sollen. Der Elternteil, bei dem sich ein Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, habe die
Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens. Die Entscheidung über eine Impfung sei eine solche Alltagssorge. Es handele sich hier um Schutzimpfungen, die
allgemein empfohlen würden; einem Einvernehmen zwischen den Eltern bedürfe es nicht.
VG Gießen, Urteil vom 11.05.2015, Az. 21 K 1976/13 - Ausländische Ärzte unterliegen der ärztlichen Berufsordnung
Ausländische Ärzte, die in Deutschland ihren Beruf nur vorübergehend und/oder gelegentlich ausüben, unterliegen ebenso der Berufsordnung für Ärzte und bei festgestellter Berufspflichtverletzung der deutschen Berufsgerichtsbarkeit.
Oberlandesgericht Nürnberg, Urteil vom 30.04.2015 – 5 U 2282/13 - Verwendung eines falschen Aufklärungsbogens
Die Angaben in ärztlichen Aufklärungsgesprächen und in standardisierten Aufklärungsbögen zur Wahrscheinlichkeit des Eintritts bestimmter Komplikationen (Komplikationsdichte) haben sich an der
Häufigkeitsdefinition des Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA), die in Medikamenten-Beipackzetteln Verwendung findet, zu orientieren. Eine hiervon abweichende Verwendung der
Risikobeschreibungen („selten oder sehr selten“) kann als verharmlosend betrachtet werden.
Eine Patientin hatte sich in einer orthopädischen Klinik einer Hüftprothesen-Wechseloperation unterzogen. Die zunächst angestrengte Haftungsklage war erfolglos. Im Gegensatz zum Landgericht
stellte das Berufungsgericht eine unzureichende Aufklärung der Klägerin über das Risiko einer schwerwiegenden Nervenschädigung fest und verurteilte sowohl die Klinik, den Chefarzt als
verantwortlichen Operateur als auch einen Operationsassistenten zur gesamtschuldnerischen Haftung. Der Klägerin wurden 25.000 € Schmerzensgeld zugesprochen.
Landgericht Heidelberg, Urteil vom 22.04.2015 – 4 O 221/13 - Patient vor Operation auch über Misserfolgsrisiko aufzuklären
Der Arzt hat vor der Durchführung einer Operation zur Entfernung von Osteosynthesematerial im Hinblick auf mögliche Schwierigkeiten bei der Entfernung von Titanschrauben und -platten den
Patienten auch darüber aufzuklären, dass der Eingriff unter Umständen nicht vollständig durchgeführt werden kann, falls sich im Laufe der Operation erst herausstellen wird, dass nicht alle
notwendigen medizinischen Werkzeuge zur Entfernung der Schrauben vorhanden sind.
Die Patientin mit Handgelenksfraktur wurde genau über diesen Punkt nicht aufgeklärt. Bei der OP konnten tatsächlich nicht wie vorgesehen alle Schrauben entfernt werden; das Gericht sprach ihr ein
Schmerzensgeld in Höhe von 5000 € zu.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 14.04.2015 – 26 U 125/13 - Keine Umkehr der Beweislast bei weniger als zehn MRSA-Infizierungen
Ein Patient, der während eines Krankenhausaufenthaltes eine MRSA-Infektion erleidet, muss einen schadensursächlichen Hygienemangel auch dann beweisen, wenn während der Zeit seines
Krankenhausaufenthalts vier weitere Patienten MRSA-Infektionen erleiden. Allein diese Anzahl weiterer MRSA-Infektionen rechtfertigt keine Beweislastumkehr.
Erleiden fünf Patienten eines Krankenhauses während ihres Aufenthaltes eine MRSA-Infektion, führt dies, wenn im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses ein schadensursächlicher Hygienemangel zu
beweisen ist, nicht zu einer Beweislastumkehr. Eine betroffene Patientin hat das Krankenhaus erfolglos auf 30.000 Euro Schmerzensgeld verklagt. Wie der gerichtlich bestellte Gutachter im
Verfahren ausführte, kann bei einer MRSA-Infektion nicht von vornherein auf einen Hygienemangel geschlossen werden. Von einem nachweisbaren Hygienedefizit könne erst gesprochen werden, wenn
bei zehn Patienten auf einer Station zur selben Zeit eine MRSA-Infektion auftritt. Die Revision wurde zugelassen.
BGH, Urteil vom 24.02.2015 - VI ZR 106/13 - zum Fahrlässigkeitsbegriff im Arzthaftungsrecht
Nimmt das Gericht eine von der Beurteilung der gerichtlich bestellten Sachverständigen abweichende, eigene medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens vorgenommen ohne aufzuzeigen, dass es
über die erforderliche Sachkunde verfügt, so hat es damit den medizinischen Standard in unzulässiger Weise selbst bestimmt. Dabei ist auch zu beachten, dass auch im Arzthaftungsrecht der
objektivierte zivilrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff des
§ 276 Abs. 2 BGB maßgeblich ist. Danach hat der Arzt für die Einhaltung der objektiv erforderlichen Sorgfalt einzustehen. Er muss die Voraussetzungen einer dem medizinischen Standard
entsprechenden Behandlung kennen und beachten. Für ein dem Standard zuwiderlaufendes Vorgehen ist er haftungsrechtlich auch dann verantwortlich, wenn dieses aus seiner persönlichen Lage heraus
subjektiv als entschuldbar erscheinen mag.
weitere Kommentierungen: GesR 2015, 281 f.; NJW 2015, 1601 f.; MDR 2015, 587 f.; VersR 2015, 712
Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 04.02.2015 – 1 U 27/13 - Keine Beweislastumkehr bei Nichtwahrnehmung von Kontrollterminen
Unterlässt ein Patient eine gebotene Nachbehandlung, obgleich ihm deren Notwendigkeit bekannt war, und ruft das Unterlassen der Nachbehandlung weitere Komplikationen und Erkrankungen hervor, setzt trägt der Patient in gleicher Weise wie der behandelnde Arzt zu seinen Gesundheitsbeeinträchtigungen bei, sodass sein eigenes Fehlverhalten das des Arztes aufwiegt; eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Patienten scheidet daher aus. Trotz eines einfachen Befunderhebungsfehlers (fehlende Röntgenkontrolluntersuchung nach intraoperativer Gallenpunktion) ist ein Patient vor diesem Hintergrund aufgrund misslungener Beweisführung mit seiner Haftungsklage gegen mehrere Ärzte gescheitert. Das Gericht wies darauf hin, dass sich im entschiedenen Fall nicht das Risiko der fehlerhaft unterlassenen Röntgenkontrastmitteldarstellung, sondern dasjenige der vom Patienten unterlassenen Nachbehandlung realisiert habe.
Bundesgerichtshof, Urt. v. 28.01.2015 - XII ZR 201/13 - Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Kind, das durch eine künstliche heterologe Insemination gezeugt wurde, grundsätzlich von der Reproduktionsklinik Auskunft über die Identität des anonymen Samenspenders verlangen kann. Ein bestimmtes Mindestalter des Kindes ist dafür nicht erforderlich. Machen die Eltern den Anspruch als gesetzliche Vertreter ihres Kindes geltend, setzt dies voraus, dass die Auskunft zum Zweck der Information des Kindes verlangt wird. Außerdem muss die Abwägung aller rechtlichen Belange - auch derjenigen des Samenspenders - ein Überwiegen der Interessen des Kindes an der Auskunft ergeben.
Die im Dezember 1997 und im Februar 2002 geborenen Klägerinnen verlangen von der beklagten Reproduktionsklinik Auskunft über die Identität ihres biologischen Vaters durch Bekanntgabe des Samenspenders. Sie wurden jeweils durch eine künstliche heterologe Insemination gezeugt, die in der Klinik an der Mutter der Klägerinnen vorgenommen wurde. Zugrunde lagen diesen Behandlungen Verträge mit der Mutter und dem mit dieser verheirateten (rechtlichen) Vater der Klägerinnen. Die Eheleute hatten in einer notariellen Erklärung gegenüber der Klinik auf Auskunft über die Identität der Samenspender verzichtet.
Das Amtsgericht hat der Auskunftsklage der von ihren Eltern vertretenen Klägerinnen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht im November 2013 die Klage abgewiesen. Den Klägerinnen stehe der geltend gemachte Auskunftsanspruch jedenfalls derzeit nicht zu. Mit dem Verlangen nach Auskunft über die Identität der Samenspender verfolgten sie ein eigenes Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung, das sie jedoch erst mit Vollendung des 16. Lebensjahres geltend machen könnten. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen ihr Auskunftsbegehren weiter.
Die Revision hatte Erfolg. Sie führte zur Aufhebung der Berufungsentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Ein Auskunftsanspruch der durch künstliche Befruchtung gezeugten Kinder kann sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben aus § 242 BGB ergeben. Sie sind in derartigen Konstellationen in den
Schutzbereich des Behandlungsvertrags zwischen der Klinik und den Eltern einbezogen. Hinzukommen muss ein Bedürfnis des Kindes für die begehrte Information, es muss also zu erwarten sein, dass
die Information von dem Kind benötigt wird. Das ist immer dann der Fall, wenn die Eltern die Auskunft zum Zweck der Information des Kindes verlangen. Weder der Auskunftsanspruch noch seine
Geltendmachung setzen ein bestimmtes Mindestalter des Kindes voraus.
Quelle: Pressemitteilung des
BGH
Bundesgerichtshof, Urt. v. 20.01.2015 - VI. ZR137/14 - Kein Anspruch des Patienten gegen auf Mitteilung der Privatanschrift eines angestellten Klinikarztes
Der Kläger, der in der Einrichtung der Beklagten stationär behandelt worden ist, nimmt diese und zwei bei ihr angestellte Ärzte auf Schadensersatz in Anspruch. An einen der Ärzte konnte die Klage unter der Klinikanschrift zunächst nicht zugestellt werden, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Namen nicht richtig angegeben hatte. Nach der Korrektur des Namens war die Zustellung erfolgreich. Trotzdem verlangte der Kläger von der Klinik Auskunft über die Privatanschrift des betroffenen Arztes. Dies lehnte die Beklagte ab.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Beklagte zur Auskunft verurteilt, weil sich Anonymität nicht mit dem Wesen des Arzt-Patienten-Verhältnis vertrage. Es hat die Revision zugelassen.
Der u.a. für die Fragen des Persönlichkeitsschutzes und der Arzthaftung zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Revision der Beklagten das Berufungsurteil aufgehoben, die
Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Herausgabe. Außerdem steht die datenschutzrechtliche Vorschrift des § 32 Abs. 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) einer Weitergabe
der Daten seitens der Klinik entgegen.
Quelle: Pressemitteilung des
BGH