Entscheidungsdetails 2016

KG Berlin, Beschluss vom 1.12.2016 – 20 W 67/16

Das Kammergericht sieht das Interesse des Patienten auf Einsicht in seine Behandlungsunterlagen als weitgehend wertlos an

 

anders: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom  13.10.2017 – 8 W 13/17

 

Die Patientin forderte den sie Arzt auf, ihr Einsicht in ihre Behandlungsunterlagen zu gewähren. Der Arzt gewährte ihr dies nicht. Die Patientin erhob Klage gegen den Arzt und warf ihm Behandlungsfehler vor. Zusammen mit der Klage beantragte sie, ihr Einsicht in ihre Behandlungsakte zu gewähren. Nachdem das LG Berlin über die Klage entschieden hatte, kam es zum Streit über den Gegenstandswert der Klage. Das Kammergericht bestätigte den seitens des LG Berlin angesetzten Wert von 325,- Euro. Mehr sei der Anspruch auf Einsicht nicht wert.

Urteil des KG: „Die Klägerin hat diese Klage erhoben, ohne im Besitz der Unterlagen zu sein, so daß nicht davon auszugehen ist, daß die Patientenunterlagen zur Vorbereitung der Klage erforderlich waren, mag die Klägerin den Beklagten auch vorprozessual ergebnislos zur Herausgabe der Unterlagen aufgefordert haben."

Allerdings wird das nachvollziehbare Interesse des Patienten wird hier auf Null entwertet, wenn es "als nicht erforderlich" angesehen wird.

LSG Baden-Württemberg, 23.11.2016 (L 5 R 1176/16) -  Juniorpartnerschaft begründet keine sozialrechtliche Selbständigkeit

 

Eine Juniorpartnerschaft in einer Gemeinschaftspraxis, die einen Gewinnanteil von 30% der vom Juniorpartner erwirtschafteten Honorare vorsieht, stellt keine sozialversicherungsrechtlich freiberufliche sondern eine abhängige Beschäftigung dar.

 

Für die sozialversicherungsrechtliche Bewertung sah das LSG die typischen Kennzeichen freiberuflicher Tätigkeit: Weisungsfreiheit, eigene Haftung, eigene vertrags(zahn)ärztliche Zulassung für wenig ausschlaggebend an.

 

Auch eine strenge paritätische Gewinnverteilung kann allenfalls Indiz einer Freiberuflichkeit sein. Gleichwohl maß das LSG einer Verlustbeteiligung sowie einer Kapitaleinlage sowie dem Auftraten im Geschäftsverkehr herausgehobene Bedeutung zu.

 

Die Revision wurde nicht zugelassen. Ob eine Nichtzulassungsbeschwerde anhängig ist, ist nicht bekannt.

 

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BGH, Beschluss vom 8.11.2016 - VI ZR 512/15

Zum Vorliegen eines Gehörsverstoßes im Arzthaftungsprozess.

 

Bei der Klägerin war es im Rahmen einer Krampfader-Operation zu einer Schädigung des Nervus Peroneus gekommen, was zu einer Fußheberschwäche führte. Die Begutachtung hat ergeben, dass eine (behandlungsfehlerhafte) vollständige Durchtrennung des Nervs auszuschliessen war. Mit dem Vortrag der Klägerin der teilweisen Durchtrennung des Nervens haben sich weder LG noch KG in den Urteilsbegründungen befasst. Die Behauptung der Klägerin der Teildurchtrennung gehört jedoch zum wesentlichen Tatsachenvortrags, mit dem sich die Urteilsgründe hätten befassen müssen. Wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Absatz 1 GG hat der BGH das Urteil des KG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

 

OLG Hamm, Urt. v. 09.09.2016 - 26 U14/16 - sozialversicherungsrechtliches "Blindengeld" ist keine erstattungsfähige Schadensposition infolge eines Behandlungsfehlers

 

Ein Arzt, dem ein Behandlungsfehler unterlaufen ist, muss dem Patienten unter Umständen Schadensersatz zahlen. Wie verhält es sich jedoch mit dem Blindengeld, auf das ein Patient wegen eines Behandlungsfehlers seines Augenarztes Anspruch hat? Muss die Versicherung des Augenarztes zahlen und das Blindengeld für den Patienten erstatten?

 

Das OLG Hamm hat entschieden, dass die Versicherung eines Arztes nicht das sogenannte Blindengeld für einen Patienten erstatten muss.

Der Mann hatte 2006 und 2007 wegen Augenschmerzen und Dunkelsehens mehrfach seinen Augenarzt aufgesucht. Der Augenarzt diagnostizierte bei dem Patienten eine bakterielle Bindehautentzündung bzw. Bindehautreizung und verschrieb Augentropfen zur Behandlung. Obwohl der Patient weiterhin unter Beschwerden litt, unternahm der Arzt keine weitere diagnostische Abklärung im Hinblick auf einen grünen Star (Glaukom).

Weil die Beschwerden weiter fortbestanden, suchte der Mann Ende 2007 einen anderen Augenarzt auf. Aufgrund der Diagnose Glaukom wurde der Mann operiert. Trotzdem verlor er seine Sehschärfe, erlitt er eine Gesichtsfeldeinengung und verlor sein Augenlicht fast vollständig. Der Landschaftsverband als Sozialhilfeträger bewilligte ihm Blindengeld.

Ein Gutachten ergab, dass der Augenarzt einen groben Behandlungsfehler an dem Patienten begangen hatte. Der Patient hatte wegen des Behandlungsfehlers Anspruch auf Schadensersatz. Er erhielt Schadensersatz in Höhe von 475.000 Euro, wovon 50.000 Euro als pauschale Entschädigung für vermehrte Bedürfnisse vorgesehen waren.

Der Landschaftsverband forderte von der Haftpflichtversicherung des Augenarztes die Erstattung des gezahlten Blindengeldes in Höhe von rund 30.000 Euro. Außerdem sollte die Versicherung des Arztes auch weitere Blindengeldzahlungen für den Patienten ersetzen. Als die Versicherung das ablehnte, klagte der Landschaftsverband und berief sich dabei auf den sogenannten Forderungsübergang.
Der Forderungsübergang setze eine sachliche Übereinstimmung zwischen der Ersatzpflicht des Schädigers, also hier des Arztes, und der Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers voraus. Das sei dann der Fall, wenn dessen Zahlung und der Schadensersatz derselben Einbuße des Geschädigten dienten.

 

Das sei hier aber nicht der Fall. Blindengeld werde pauschal gezahlt, ohne Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder eine Erforderlichkeit zu berücksichtigen. Es solle unter anderem Nachteile der Behinderung mildern, Teilhabe am Leben ermöglichen und Pflegebedürftigkeit vermeiden oder zumindest vermindern. Es habe nicht die Funktion, jeglichen Mehraufwand eines Patienten abzudecken. Der Schadensersatz wegen eines Behandlungsfehlers stelle demgegenüber nur auf den wirklichen, durch die Erblindung entstandenen Mehrbedarf ab.

OLG Hamm , Urteil vom 7.9.2016 - 3 U 6/16 - Arzthaftung bei der Organspende

 

Die Einwilligung eines Organspenders zur Lebendspende ist nicht automatisch deshalb unwirksam und die Organentnahme damit ein rechtswidriger Eingriff, weil das erforderliche Aufklärungsgespräch nicht den formellen Anforderungen des § 8 Abs. 2 Transplantationsgesetz (TPG) genügt hat.

 

Die Klägerin, von Beruf Arzthelferin, spendete ihrem Vater 2009 eine Niere, die dieser 2014 wieder verlor. Die Klägerin forderte vom beklagten Klinikum und von den mit der Organspende befassten Ärzten des Klinikums Schadensersatz, unter anderem ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro. Sie behauptete, infolge der Spende an einem Erschöpfungssyndrom und einer Niereninsuffizienz zu leiden. Ihre Nierenlebendspende sei kontraindiziert gewesen. Über die Folgen der Spende sei sie zudem nicht ausreichend aufgeklärt worden, zumal den in § 8 Abs. 2 TPG geregelten Anforderungen an das vorgeschriebene Aufklärungsgespräch nicht genügt worden sei.
Das OLG stellte zwar einen Verstoß fest. Allerdings führe der Verstoß gegen die formellen Voraussetzungen nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Einwilligung des Spenders in die Organentnahme und damit zur Rechtswidrigkeit des Eingriffs, weil die in der Vorschrift niedergelegten allgemeinen Verfahrensregelungen bloße Ordnungsvorschriften seien, die nicht die Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung des Spenders in eine einzelne Lebendorganspende regele.
Zudem habe sich die Klägerin zur Lebendnierenspende entschlossen, weil sie den Tod ihres Vaters gefürchtet habe beziehungsweise ihm eine Dialysepflicht habe ersparen wollen. Ihre Einwilligung habe sie in Kenntnis einiger - von ihr als Arzthelferin - durchaus als gravierend eingeschätzter, unter Umständen auch die Lebensqualität erheblich einschränkender Risiken erteilt. Deswegen sei davon auszugehen, dass sie sich auch bei einer ausreichenden Aufklärung zur Spende entschlossen hätte.

 

Volltext (Link)

BGH, Beschluss vom 06.07.2016, Az.:  XII ZB 61/16 - inhaltliche Anforderungen an die Patientenverfügung

 

Patientenverfügungen müssen klar und deutlich formuliert sein. Insbesondere muss aus der Vollmacht auch hervorgehen, dass die jeweilige Entscheidung des Vollmachtgebers  - d.h. vor allem das Unterlassen an sich gebotener medizinischer Maßnahmen -  mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann.

 

Aus den Entscheidungsgründen:

 

"Der Bevollmächtigte kann in eine der in § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung widerrufen, wenn der Vollmachttext hinreichend klar umschreibt, dass sich die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, sie zu unterlassen oder am Betroffenen vornehmen zu lassen. Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann. 

 

Einem für einen Betroffenen bestehenden Betreuungsbedarf wird im Zusammenhang mit der Entscheidung zur Durchführung von lebensverlängernden Maßnahmen im Sinne des § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB durch eine Bevollmächtigung erst dann nicht ausreichend Genüge getan, wenn offenkundig ist, dass der Bevollmächtigte sich mit seiner Entscheidung über den Willen des Betroffenen hinwegsetzen würde.

 

Die schriftliche Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen. Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen."

 

Link zur Entscheidung

 

Link zur Pressemitteilung des BGH

 

Presseartikel:

 

Focus Online

Spiegel Online

Zeit Online

 

BGH XII ZB 61/16 -06.07.2016 - Patientenverfügung
BGH XII ZB 61-16 Patientenverfügung.pdf
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LG Hof, Urteil vom 9.6.2016 - 24 S 4/16
 
Begehrt eine Krankenversicherung Einsicht in Behandlungsunterlagen eines verstorbenen Patienten, so ist sie nicht verpflichtet, Näheres zum Behandlungsfehler (hier Unfallgeschehen) vorzutragen. § 630g BGB regelt dieses Einsichtsrecht auch nicht abschließend etwa in dem Sinne, dass der Versicherung eben kein Recht zur Einsicht zukäme oder dieses nur vorläge, wenn es von dem Patienten ausdrücklich erteilt worden sei. Die Neuregelung des § 630 g BGB steht dem Einsichtsrecht aus § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X, §§ 401 Abs. 1 analog, 412 BGB nicht entgegen.

BVerwG, Urteil vom 06.04.2016, Az.: 3 C 10.14 - Der Eigenanbau von Cannabis zu therapeutischen Zwecken bei einem schwer MS-Erkrankten ist ausnahmsweise erlaubnisfähig

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat heute das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verpflichtet, dem schwer kranken Kläger eine Ausnahmeerlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis zu erteilen, weil das Betäubungsmittel für seine medizinische Versorgung notwendig ist und ihm keine gleich wirksame und erschwingliche Therapiealternative zur Verfügung steht.

 

Der 52-jährige Kläger ist seit 1985 an Multipler Sklerose erkrankt. Die Symptome seiner Erkrankung behandelt er seit etwa 1987 durch die regelmäßige Einnahme von Cannabis. Vom Vorwurf des unerlaubten Besitzes und Anbaus von Betäubungsmitteln ist er zuletzt im Januar 2005 freigesprochen worden. Das Strafgericht sah sein Handeln als gerechtfertigt an, weil ihm keine Therapiealternative zur Verfügung stehe. Den seit Mai 2000 gestellten Antrag des Klägers auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Anbau von Cannabis zur medizinischen Selbstversorgung lehnte das BfArM mit Bescheid vom 6. Dezember 2007 und Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 ab. Das Verwaltungsgericht hob die Bescheide auf und verpflichtete die Beklagte, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Die weitergehende Klage wies es zurück. Die Berufungen des Klägers und der Beklagten vor dem Oberverwaltungsgericht blieben ohne Erfolg.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat es die Urteile der Vorinstanzen geändert und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die beantragte Erlaubnis zu erteilen. Nach § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) kann das BfArM eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Die Behandlung des schwer kranken Klägers mit selbst angebautem Cannabis liegt hier ausnahmsweise im öffentlichen Interesse, weil nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts die Einnahme von Cannabis zu einer erheblichen Linderung seiner Beschwerden führt und ihm gegenwärtig kein gleich wirksames und für ihn erschwingliches Medikament zur Verfügung steht. Der (ebenfalls erlaubnispflichtige) Erwerb von so genanntem Medizinalhanf aus der Apotheke scheidet aus Kostengründen als Therapiealternative aus. Seine Krankenkasse hat eine Kostenübernahme wiederholt abgelehnt. Eine Eigenfinanzierung ist ihm mit seiner Erwerbsunfähigkeitsrente nicht möglich. Der Kläger kann auch nicht darauf verwiesen werden, wegen der Kostenübernahme durch die Krankenkasse erneut den sozialgerichtlichen Klageweg zu beschreiten. Eine solche Klage ist ihm unter den gegebenen Umständen nicht zumutbar. Der Erlaubniserteilung stehen auch keine Versagungsgründe nach § 5 BtMG entgegen. Nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs hinreichend gewährleistet. Mit den vom Kläger vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen in seiner Wohnung sind die Betäubungsmittel ausreichend gegen eine unbefugte Entnahme geschützt. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Verwendung durch ihn selbst. Des Weiteren verfügt der Kläger aufgrund der jahrelangen Eigentherapie inzwischen über umfassende Erfahrungen hinsichtlich Wirksamkeit und Dosierung der von ihm angebauten Cannabissorte. Außerdem stehen der Anbau und die Therapie unter ärztlicher Kontrolle. Die Erlaubnis ist auch nicht mit Rücksicht auf das internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 zu versagen. Unter diesen Voraussetzungen ist die Erteilung der Ausnahmeerlaubnis wegen der von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderten Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit rechtlich zwingend vorgezeichnet, so dass das der Behörde eröffnete Ermessen „auf Null“ reduziert ist. Davon unberührt bleibt die Befugnis des BfArM, die Erlaubnis mit Nebenbestimmungen zu versehen.

 

Quelle: Pressemitteilung BVerwG Nr. 26/2016 vom 06.04.2016

OLG Jena Beschl. v. 7.3.2016 - 4 UF 686/15

Impfung von Kindern – Zustimmung beider Eltern ist erforderlich.

 

Die Entscheidung über das Impfen der Kinder ist eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung.
Die Durchführung der altersentsprechenden Schutzimpfungen, welche bei den üblichen Vorsorgeuntersuchungen vorgenommen werden, darf also nicht nur durch einen Elternteil bestimmt werden. Beide Elternteile haben ihre Einwilligung zu den Impfungen zu geben. Sind sich die Eltern über die Durchführung nicht einig, so kann eine Übertragung der Entscheidungskompetenz auf einen Elternteil beantragt werden. Das Gericht hat im konkreten Fall dem Elternteil die Entscheidung übertragen, der der Empfehlung der STIKO gefolgt ist. Dies zum einen, weil aus der Sicht des Gerichts damit eher zu rechnen ist, dass eine dem Kindeswohl zuträgliche Entscheidung getroffen wird und zum anderen sieht sich das Gericht mangels der medizinischen Sachkunde außerstande eine Entscheidung zu treffen und hält sich an die Empfehlungen der STIKO, welche dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen.

VG Aachen, Beschluss vom 02.03.2016, Az.: 7 L 1017/15 - Eine einzeln gehaltene Bovinen-Herpesvirus-Typ 1 infizierte Reitkuh kann im Bestand bleiben

 

Die Verfügung inklusive der Anordnung der sofortigen Vollziehung der zuständigen Behörde, wonach die Reitkuh geschlachtet oder exportiert hätte werden müssen, war im Hinblick auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht hinreichend plausibel gemacht, so dass der hiergegen gerichtete Eilantrag Erfolg hatte.

 

Dem erkennenden Gericht zur Folge kann die Anordnung der sofortigen Vollziehung nur dann erfolgen, wenn ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Dies ist aber im Hinblick auf eine einzeln gehaltene infizierte Reitkuh nicht gegeben, so dass hier eine Ausnahme vom Regelfall einer entsprechenden Ordnungsverfügung bei der Rinderhaltung von mehreren Tieren gemacht werden muss (vgl. unten Beschluss VG Münster vom 15.02.2016).

 

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Sozialgericht Aachen Urt.v. 01.03.2016, AZ.: S 13 KR 379/15 - Zum Krankheitsbegriff gem. SGB V; Anspruch auf Ganzkörperhautstraffung wg. psychischer Belastung besteht nicht

 

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine operative Straffung der Haut im Bereich des Bauches, der Oberarme und der Oberschenkel zu Lasten der GKV aufgrund einer psyschichen Belastung. Gem. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.

 

Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt also eine "Krankheit" voraus. Damit wird in der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper - oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 3/03 R = BSGE 93, 252). Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (BSG, Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 19/07 R). Dies ist bei „Fettschürzen“, die nach erheblicher Körperreduzierung verbleiben können, nicht der Fall, da mit diesen keine körperliche Fehlfuntion iSd SGB V verbunden sei.

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf operative Ganzkörperstraffung ihrer Haut zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).  Die 2000 geborene Klägerin hatte Ende 2007 ein Körpergewicht von 180 kg bei einer Größe von 170 cm. Dies entsprach einem BMI (Body-Mass-Index) von 62,3. Durch Ernährungsumstellung und sportliche Aktivitäten nahm sie 95 kg ab und wog im April 2015 nur noch 85 kg (BMI: 29,4). Durch die Gewichtsreduktion kam es zu einem generalisierten Hautüberschuss mit herabhän- gender Haut an Ober- und Unterbauch, Brust, Armen, Oberschenkeln und Gesäß. Dadurch bedingt kam es zu vermehrtem Schwitzen, ständiger Feuchtigkeitsansammlung mit Ekzemen und Hautentzündungen im Sinne von Intertrigo im Bereich der Haut-Umschlagfalten, hygienischen Problemen im Alltag, Schamgefühl mit Libidoverlust, Problemen beim Sport und bei der Beklei- dungsausstattung (Bericht der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie des K.-hospitals Aachen vom 24.04.2015). Nach eigenen Angaben war die Klägerin wegen der Hautirritationen einmal beim Hautarzt; die weiteren Verordnungen von Cremes, Pudern und (Pilz-)Salben erfolg- ten durch den Hausarzt. Am 28.05.2015 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für eine operative Ganz- körperstraffung/Fettschürzenoperation in mehreren Schritten. Sie legte hierzu den Bericht der Ärzte des K.-hospitals vom 24.04.2015 vor, in dem diese eine gebietsbezogene Entfernung der Hautüberschüsse in mehreren operativen Schritten als "alleinige sinnvolle Behandlungsmaßnahme" ansahen, für die "eine eindeutige medizinische Indikation" gegeben sei. Desweiteren legte die Klägerin Atteste der Allgemeinmediziner Dr. P. vom 16.03.2015 und Dr. I. vom 31.03.2015 vor, in denen die Operation "aus psychischen und dermatologischen Gründen" befürwortet wurde, und überreichte Lichtbilder ihres Körpers. Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind.


Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht derzeit keine krankheitswertige Adipositas, der durch eine Ganzkörperstraffung begegnet werten könnte und müsste. Die bei der Klägerin infolge der Reduzierung des Körpergewichts um 95 kg entstandenen Hautlappenüberschüsse in mehreren Bereichen des Körpers, teilweise im Sinne sogenannter "Fettschürzen", können schon deshalb nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil damit keine körper-liche Fehlfunktion verbunden ist (vgl. hierzu Urteile der Kammer vom 08.09.2009 - S 13 KR 85/09 und vom 03.08.2010 S 13 KR 162/09 - , LSG NRW Urteil vom 08.05.2008 - L 5 KR 91/07 -; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.11.2006 - L 4 KR 60/04 -; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.01.2006 - L 5 KR 65/05 -; Sächsisches LSG, Urteil vom 23.03.2005 - L 1 KR 24/04 -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2004 - L 11 KR 896/94 -). Eine Regelwidrigkeit und damit eine Krankheit ließe sich allenfalls in Bezug auf Hautveränderungen (Ekzem/Rötung/Pilzbildung) begründen, sofern diese durch überhängende Hautfalten hervorgerufen würden, wie die Klägerin und ihre Ärzte dies angesprochen haben. Solche Haut- veränderungen führen jedoch nicht dazu, dass die beantragten operativen Eingriffe vorgenommen werden müssten; denn sie sind dermatologisch behandelbar. Die Klägerin hat selbst eingeräumt, dass gegebenenfalls auftretende Hautreizungen/Hautirritationen dermatologisch durch Pflege, Cremes, Puder, Salben und entsprechende Hygiene behandelt werden können. Es ist weder dargelegt noch aus den Arztberichten ersichtlich, dass bei ihr eine therapieresistente Hauterkrankung durch die Hautfalten vorliegt. Soweit die Ärzte und die Klägerin eine psychische Belastung durch die erschlaffte Haut ("Schamgefühl mit Libidoverlust", "psychisch durch die Fettschürzen massivst beeinträchtigt") geltend machen, vermag dies eine operative Ganzkörperstraffung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Denn nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteile vom 19.10.2004 und 28.02.2008, s.o.) ist derartigen Belastungen nicht mit chirurgischen Eingriffen in eine an sich gesunde Körpersubstanz, sondern mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu begegnen (ebenso in Bezug auf eine Bauchdeckenplastik: LSG NRW, Urteil vom 08.05.2008 - L 5 KR 91/07; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.01.2006 - L 5 KR 65/05; Sächsisches LSG, Urteil vom 23.03.2005 - L 1 KR 24/04 und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2004 - L 11 KR 896/04; speziell in Bezug auf eine Bodylift-(Hautstraffungs-)Operation: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.11.2006 - L 4 KR 60/04; vgl auch die Urteile der Kammer vom 08.09.2009 S 13 KR 85/09, vom 03.08.2010 S 13 KR 162/09 und vom 18.12.2012 S 13 KR 103/12).

VG Münster, Beschluss v.15.02.2016 Az.: 5 L 88/16 - Mit Bovinen-Herpesvirus-Typ 1 infizierte Rinder sind verschuldensunabhängig vom Halter aus dem Bestand zu entfernen

 

Nach § 24 Abs. 1 Sätze 1 und 2 TierGesG obliegt die Durchführung der Vorschriften des TierGesG und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften den zuständigen Behörden, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 TierGesG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zur Feststellung oder zur Ausräumung eines hinreichenden Verdachtes, eines Verstoßes oder zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder zur Verhütung künftiger Verstöße erforderlich sind. Nach § 2 Abs. 2a Satz 1 BHV1-VO hat der Tierhalter Reagenten nach näherer Anweisung der zuständigen Behörde unverzüglich aus dem Bestand zu entfernen.


Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BHV1-VO NRW sind Reagenten im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 3 BHV1-VO nach dem 31. Dezember 2015 unverzüglich zu entfernen. Der Antragsteller ist Tierhalter. Er hält nach dem 31. Dezember 2015 in seinem Tierbestand Reagenten (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BHV1-VO). Die am 5. Januar 2016 eingeholte Auskunft aus dem Bestandsregister aus der HI-Tier-Datenbank bestätigt 225 Fälle von Bovinen Herpesvirus Typ 1.
Auf den vom Antragsteller behaupteten Umstand, ihn treffe daran, dass sein Betrieb noch nicht BHV1-frei sei, kein Verschulden, kommt es für die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage nicht an. Maßnahmen auf der Grundlage des § 24 Abs. 1 und 3 TierGesG sind solche der Gefahrenabwehr (vgl. § 1 Satz 1 TierGesG) und damit verschuldensunabhängig.
§ 6 Abs. 2 BHV1-VO NRW sieht vor, dass die Behörde in begründeten Einzelfällen Ausnahmen von § 6 Abs. 1 BHV1-VO NRW zulassen kann, wenn 1. Gründe der Seuchenbekämpfung nicht entgegenstehen, 2. auf Grund der Zahl der Reagenten in einem Rinderbestand deren Entfer- nung eine unbillige Härte für die Tierhalterin oder den Tierhalter bedeutet und 3. die Tierhalterin oder der Tierhalter ein tierärztliches Sanierungskonzept vorlegt, durch das der Rinderbestand in weniger als drei Jahren BHV1-frei werden kann, und sie oder er sich zur Durchführung des Sanierungskonzeptes verpflichtet. Keiner dieser eine Ermessensbetätigung tragenden Gründe liegt vor. Auch das Interesse des Antragsgegners und der Öffentlichkeit an einer effektiven Tierseuchenbekämpfung im Rinderbestand setzt sich gegenüber dem allein wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers am Erzielen höherer Verkaufspreise durch.

Die Ordnungsverfügung erweist sich nach Maßgabe der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Überprüfung als offensichtlich rechtmäßig, und es besteht ein öffentliches Vollzugsinteresse. Nrn. 1, 2 und 3 der Ordnungsverfügung sind offensichtlich rechtmäßig. Die Anordnung in Nr. 1 Satz 1 der Ordnungsverfügung, alle am Standort in S. , X. und T. , ge- haltenen BHV1-Reagenten unter den Maßgaben in Satz 2 bis spätestens zum 20. Februar 2016 aus dem Bestand zu entfernen, ist offensichtlich rechtmäßig. Die auf § 24 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 TierGesG, § 2 Abs. 2a der Verordnung zum Schutz der Rinder vor einer Infektion mit dem Bovinen Herpesvirus Typ 1 (BHV1-VO) und § 6 Abs. 1 der Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen zum Schutz der Rinder vor einer Infektion mit dem Bovinen Herpesvirus Typ 1 (BHV1-VO NRW) beruhende Verfügung ist formell rechtmäßig. Der Antragsgegner ist gemäß § 1 der Verordnung über Zuständigkeiten auf den Gebieten der Tiergesundheit, Tierseuchenbekämpfung u. a., §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 OBG NRW als Kreisordnungsbehörde für den Erlass der Ordnungsverfügung zuständig. Der Antragsteller wurde mit Schreiben des Antragsgegners vom 30. Oktober 2015 vor Erlass der Ordnungsverfügung im Sinne des § 28 Abs. 1 VwVfG NRW angehört, da ihm Gelegenheit gegeben wurde, zur beabsichtigten Maßnahme - unverzügliche Entfernung der Reagenten aus seinem Betrieb - binnen angemessener Frist Stellung zu nehmen. Durch diese Anhörung wurde dem Antragsteller hinreichend deutlich gemacht, welche Maßnahmen der Antragsgegner zu treffen beabsichtigte. Insbesondere war dem Antragsteller klar, dass sich die angekündigte Maßnahme nicht nur - wie der Wortlaut der Anhörung zunächst andeutet - auf die Hofstelle in S. , X. (Betriebsregistriernummer 05 554 044 7901), bezieht, sondern seinen gesamten Betrieb, zu dem auch die Hofstelle auf dem Betrieb X1. in S. , T. (Betriebsregistriernummer 05 554 044 9005), zählt, erfasst. Dies zeigt sich insbesondere an der unmittelbaren Reaktion des Antragstellers auf die Anhörung, mit welcher er den Erlass der angekündigten Maßnahme abzuwenden versucht hat. Er hat unter dem 13. November 2015 ein Sanierungskonzept vorgelegt, das offenbart, dass die Tierhaltung in seinem Betrieb in der Weise organisiert ist, dass die Jungtiere zunächst auf den Hof X1. verbracht werden. Dies bestätigt sich auch durch die Einlassung des Antragstellers in der Antragsschrift vom 22. Januar 2016, wonach er sich als Inhaber eines land- wirtschaftlichen Betriebs bezeichnet, der auf seiner Hofstelle (X. 15) und der Hofstelle X1. Rin- der hält. Die schriftlich erlassene Verfügung ist hinreichend begründet worden (§ 39 Abs. 1 VwVfG NRW. Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 TierGesG i. V. m. § 2 Abs. 2a BHV1-VO und des § 6 Abs. 1 BHV1-VO NRW liegen vor. Der Antragsteller ist Tierhalter. Er hält nach dem 31. Dezember 2015 in seinem Tierbestand Reagenten (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BHV1-VO). Beide Beteiligte gehen übereinstimmend hiervon aus; die am 5. Januar 2016 eingeholte Auskunft aus dem Bestandsregister aus der HI-Tier-Datenbank bestätigt 225 Fälle.


Die dem Antragsteller auf seinen Antrag vom 29. Juni 2015 auf der Grundlage des § 6 Abs. 2 BHV1-VO NRW erteilte Ausnahmegenehmigung des Antragsgegners vom 7. September 2015 war bis zum 31. Dezember 2015 befristet. Den sinngemäßen Antrag des Antragstellers vom 13. November 2015 auf Verlängerung der Ausnahmegenehmigung lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 4. Dezember 2015 ab. Der Widerspruch des Antragstellers vom 4. Januar 2016 hatte bislang keinen Erfolg. Für das ordnungsbehördliche Einschreiten ist es entgegen der Annahme des Antragstellers keine tatbestandliche Voraussetzung, dass über die beantragte Aus- nahmegenehmigung bestands- bzw. rechtskräftig ablehnend entschieden worden ist; gegebenenfalls mag ein offensichtlich bestehender Anspruch auf Erteilung einer solchen Genehmigung im Rahmen der Ermessensentscheidung beim Erlass einer Ordnungsverfügung zu berücksichtigen sein. Auf den vom Antragsteller behaupteten Umstand, ihn treffe daran, dass sein Betrieb noch nicht BHV1-frei sei, kein Verschulden, kommt es für die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage nicht an. Maßnahmen auf der Grundlage des § 24 Abs. 1 und 3 TierGesG sind solche der Gefahrenabwehr (vgl. § 1 Satz 1 TierGesG) und damit verschuldensunabhängig. Die in Nr. 1 Sätze 2 und 3 der Ordnungsverfügung vom Antragsgegner getroffenen näheren An- weisungen begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 BHV1-VO).


Die vom Antragsgegner getroffene Entscheidung ist im Grundsatz eine gebundene ("hat ... zu entfernen" bzw. "sind ... zu entfernen"). Es kann offen bleiben, ob die die Anwendung von Er- messen eröffnenden Voraussetzungen des § 2 Abs. 2a Satz 2 BHV1-VO (regelmäßige Impfung) vorliegen, denn jedenfalls hat der Antragsgegner unter Heranziehung der Maßstäbe des § 6 Abs. 2 BHV1-VO NRW nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO nicht zu beanstandende Ermessenser- wägungen angestellt. Aus diesem Grunde kann offen bleiben, ob § 6 Abs. 2 BHV1-VO NRW nach der seit dem 27. Mai 2015 wirksamen Änderung des § 2 Abs. 2a BHV1-VO insoweit wirksam ist, als er weitergehende Anforderungen an die Eröffnung von Ermessen stellt (vgl. § 38 Abs. 9 TierGesG). Der Antragsgegner ist von einer Ermessensentscheidung (vgl. ab S. 3 der Ordnungsverfügung) ausgegangen, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens sind nicht überschritten, und von dem Ermessen ist in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden. § 6 Abs. 2 BHV1-VO NRW sieht vor, dass die Behörde in begründeten Einzelfällen Ausnahmen von § 6 Abs. 1 BHV1-VO NRW zulassen kann, wenn 1. Gründe der Seuchenbekämpfung nicht entgegenstehen, 2. auf Grund der Zahl der Reagenten in einem Rinderbestand deren Entfer- nung eine unbillige Härte für die Tierhalterin oder den Tierhalter bedeutet und 3. die Tierhalterin oder der Tierhalter ein tierärztliches Sanierungskonzept vorlegt, durch das der Rinderbestand in weniger als drei Jahren BHV1-frei werden kann, und sie oder er sich zur Durchführung des Sanierungskonzeptes verpflichtet. Keiner dieser eine Ermessensbetätigung tragenden Gründe liegt vor; erst recht besteht nicht offensichtlich ein Anspruch des Antragstellers auf die von ihm sinn- gemäß beantragte Ausnahmegenehmigung nach § 6 Abs. 2 BHV1-VO NRW. Gründe der Seuchenbekämpfung stehen in Anbetracht der hohen Durchseuchungsrate des Kuhbestandes des Antragstellers einer Ausnahme entgegen; auf die zutreffende Begründung auf Bl. 3 ff. der Antragserwiderung vom 4. Februar 2016, welcher der Antragsteller nichts Substantiiertes entgegengesetzt hat, wird verwiesen. Eine unbillige Härte liegt weder in sachlicher noch in persönlicher Hinsicht vor.
Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage liegen vor. Nach § 2a Abs. 1 Satz 1 BHV1- VO hat der Tierhalter, soweit sein Bestand nicht bereits ein BHV1-freier Rinderbestand im Sin- ne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BHV1-VO ist, alle über neun Monate alten Zucht- und Nutzrinder oder, sofern der Bestand zu mindestens 30 vom Hundert aus Kühen besteht, alle über neun Monate alten weiblichen Rinder sowie die zur Zucht vorgesehenen männlichen Rinder im Abstand von längstens zwölf Monaten nach näherer Anweisung der zuständigen Behörde in einer von ihr bestimmten Untersuchungseinrichtung, 1. sofern die Rinder des Bestandes nicht gegen eine BHV1-Infektion geimpft worden sind, blut- oder milchserologisch auf Antikörper gegen das Virus der BHV1-Infektion, 2. sofern die Rinder des Bestandes mit Impfstoffen im Sinne des § 2 Abs. 1 BVHV1-VO geimpft worden sind, blutserologisch auf Antikörper gegen das gE-Glykoprotein des Virus der BHV1-Infektion untersuchen zu lassen.


Der Rinderbestand des Antragstellers ist nicht bereits BHV1-frei im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BHV1-VO, da die Voraussetzungen der Anlage 1 nicht erfüllt sind und Nordrhein-Westfalen nicht nach einer Entscheidung der Europäischen Gemeinschaft als BHV1-frei gilt. Die Voraussetzun- gen der Nrn. 1 und 2 des § 2a Abs. 1 Satz 1 BHV1-VO liegen vor; die Impfung von Rindern gegen eine BHV1-Infektion ist ab dem 1. Juli 2015 verboten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 BHV1-VO NRW). Nr. 3 der Ordnungsverfügung ist offensichtlich rechtmäßig. Die auf § 24 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 TierGesG beruhende formell rechtmäßige Anordnung, das Betreten der Geschäftsräume und der Wirtschaftsgebäude durch amtliche Bedienstete während der Geschäfts- und Betriebszeit zu dulden, ist materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage liegen vor, da das Betreten im Rahmen der Aufgabenerfüllung nach § 24 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 TierGesG erforderlich ist. Ermessensfehler im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO liegen nicht vor.


Es besteht ein öffentliches Vollzugsinteresse. Das Interesse des Antragsgegners und der Öffentlichkeit an einer effektiven Tierseuchenbekämpfung im Rinderbestand setzt sich gegenüber dem allein wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers am Erzielen höherer Verkaufspreise durch. Insbesondere ist weder etwas dafür glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich, dass der Antragsteller im Fall der Vollziehung der Ordnungsverfügung in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht würde.

Bundesverfassungsgericht Beschluss v. 12.01.2016, -1 BvL 6/13 - Sozietätsverbot aus § 59a Abs. 1 Satz 1 BRAO verletzt das Grundrecht der Berufsfreiheit

 

L e i t s a t z: Das Sozietätsverbot aus § 59a Abs. 1 Satz 1 BRAO verletzt das Grundrecht der Berufsfreiheit, soweit es Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten eine gemeinschaftliche Berufsausübung mit Ärztinnen und Ärzten oder mit Apothekerinnen und Apothekern im Rahmen einer Partnerschaftsgesellschaft untersagt.
Rechtsanwälte dürfen sich künftig auch mit Ärzten und Apothekern zusammentun und gemeinsam in einer Sozietät arbeiten. Für verfassungswidrig und nichtig erklärten die Karlsruher Richter § 59 a Abs. 1 Satz 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung, die Regelung erlaubt ausschließlich Zusammenschlüsse von Rechtsanwälten mit Patentanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern.

 

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