OLG Köln, Urt. v. 21.03.2016 - 5 U 76/14
Risikoaufklärung über einen dauerhaften Haarverlust nach Chemotherapie war unzureichend
Das OLG Köln hat einer Patientin ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro wegen dauerhaften Haarverlusts nach einer Chemotherapie zugesprochen.
Grund war die unzureichende Aufklärung durch die Klinikärzte über die Risiken eines neuen Krebsmedikamentes. Das Gericht führt hierzu aus: "Die Angabe, die in der Patientenformation zur vergleichenden Studie einer TAC Chemotherapie mit oder ohne Darbepoetin bei Patientinnen mit positiven Lymphknoten enthalten war, dass zwar ein vollständiger Haarverlust eintrete, aber das Haarwachstum nach Absetzten der Behandlung wieder einsetze, war unzutreffend [...] Vielmehr bestand nach dem Erkenntnisstand, der für einen sorgfältigen, senologisch tätigen Gynäkologen bei Führung des Aufklärungsgesprächs und Beginn der Chemotherapie am 18.12.2007 und 18.1.2008 zu berücksichtigen war, das aufklärungspflichtige Risiko, dass bei Verwendung des Medikaments Taxotere mit dem Wirkstoff Docetaxel eine permanente Alopezie, das heißt ein dauerhafter Haarverlust, eintreten kann."
OLG Hamm, Urt. v. 16.02.2016 - 26 U 18/15
Besondere Risikoaufklärung ist - nicht nur - bei blinden Dialysepatienten geboten.
Ein blinder Patient hat durch eine Dislokation der Dialysenadel einen tödlichen Blutverlust erlitten. Die Witwe des verstorbenen Patienten klagte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Der Verstorbene war in der beklagten Gemeinschaftspraxis länger Patient. Zuletzt wurde bei dem Patienten eine Hämodialyse im Doppel-Needle-Verfahren über einen Basilika-Shunt im Oberarm durchgeführt. Der Patient war blind, was den Beklagten bekannt war.
Das Gericht führt aus, dass die Fixierung der Nadeln durch Leukopor-Streifen nicht ausreicht und führte aus, dass bei blinden Patienten eine Fixierung des Armes das ohnehin minimale Risiko einer Dislokation weiter minimieren würde. Das Gericht wies darauf hin, dass eine entsprechende Sicherungsaufklärung für blinde Patienten zwingend erforderlich sei.
Offen bleibt die Frage, ob eine solche Sicherungsaufklärung nicht grundsätzlich immer erforderlich ist, weil viele Patienten während der Behandlung schlafen. In der Praxis ist es nach der Entscheidung des OLG ratsam, immer über die Gefahr einer Dislokation aufzuklären und die Möglichkeit einer Fixierung anzubieten. Zwingend erforderlich sei dies bei blinden Patienten.
OLG Nürnberg, Urt. v. 30.04.2015 – 5 U 2282/13
Die ärztliche Risikoaufklärung hat sich an den Begriffen der Medikamenten-Beipackzetteln (Medical Dictionary for Regulatory Activities) zu orientieren.
Die Angaben in ärztlichen Aufklärungsgesprächen und in standardisierten Aufklärungsbögen zur Wahrscheinlichkeit des Eintritts bestimmter Risiken bzw. Komplikationen (Komplikationsdichte) haben sich an der Häufigkeitsdefinition des Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA), die in Medikamenten-Beipackzetteln Verwendung findet, zu orientieren.
Eine hiervon abweichende Verwendung der Risikobeschreibungen („selten oder sehr selten“) kann als verharmlosend betrachtet werden.
Eine Patientin hatte sich in einer orthopädischen Klinik einer Hüftprothesen-Wechseloperation unterzogen. Die zunächst angestrengte Haftungsklage war erfolglos. Im Gegensatz zum Landgericht stellte das Berufungsgericht eine unzureichende Aufklärung der Klägerin über das Risiko einer schwerwiegenden Nervenschädigung fest und verurteilte sowohl die Klinik, den Chefarzt als verantwortlichen Operateur als auch einen Operationsassistenten zur gesamtschuldnerischen Haftung.
Landgericht Heidelberg, Urt. v. 22.04.2015 – 4 O 221/13
Präoperative Aufklärung auch über das Misserfolgsrisiko ist geboten
Der Arzt hat vor der Durchführung einer Operation zur Entfernung von Osteosynthesematerial im Hinblick auf mögliche Schwierigkeiten bei der Entfernung von Titanschrauben und -platten den Patienten auch darüber aufzuklären, dass der Eingriff unter Umständen nicht vollständig durchgeführt werden kann, falls sich im Laufe der Operation erst herausstellen wird, dass nicht alle notwendigen medizinischen Werkzeuge zur Entfernung der Schrauben vorhanden sind.
Die Patientin mit Handgelenksfraktur wurde genau über diesen Punkt nicht aufgeklärt. Bei der OP konnten tatsächlich nicht wie vorgesehen alle Schrauben entfernt werden.
OLG Hamm, Urt. v. 3.9.2013 – 26 U 85/125
Vor der Durchführung einer Koloskopie ist der Patient auch über die selten auftretende Darmperforation konkret aufzuklären. Eine ausreichende Risikoaufklärung kann nicht auf die Ausreichung und Unterzeichnung von Form- und Merkblättern beschränkt werden.
Der Beklagte hafte, weil davon auszugehen sei, dass er den Kläger ohne ausreichende Aufklärung behandelt habe. Nach der Einschätzung des im Verfahren gehörten medizinischen Sachverständigen sei eine im Rahmen einer Koloskopie auftretende Darmperforation zwar eine seltene Komplikation. Trete sie jedoch ein, hätte sie überwiegend eine Bauchhöhlenentzündung zur Folge, die lebensbedrohlich sein könne und operativ behandelt werden müsse. Deswegen sei über das Risiko einer Perforation aufzuklären.
Der Inhalt der vom Kläger unterzeichneten Einverständniserklärung lasse nicht auf eine ausreichende Risikoaufklärung schließen. Nach dem vorgedruckten Teil der Erklärung sei u.a. auf "die mit dem Eingriff verbundenen unvermeidbaren nachteiligen Folgen, mögliche Risiken und Komplikationsgefahren" hingewiesen worden. Diese allgemein gehaltene Erklärung sei weithin inhaltslos und wirke mit dem Hinweis auf "unvermeidbare nachteilige Folgen" verharmlosend. Ihr sei nicht zu entnehmen, dass die Erklärung vom Patienten gelesen, von ihm verstanden oder mit ihm erörtert worden sei. Der Arzt hat dem Patienten in einem Aufklärungsgespräch die relevanten Risiken für ihn verständlich zu erläutern.
weitere Quellen: PaPfleReQ 2013, 96–97; GesR 2013, 730–733; ZMGR 2014, 28–32; MedR 2014, 309–313; AMK 2013, Nr 11, 16; Niedergelassene Arzt 2014, 6; GuP 2014, 70–71
OLG Koblenz, Urt. v. 22.08.2012 - 5 U 496/12
Birgt ein zahnärztlicher Eingriff (hier: Versorgung mit Implantaten) das seltene, den Patienten aber erheblich beeinträchtigende Risiko einer dauerhaft verbleibendenden Nervschädigung, muss auch darüber aufgeklärt werden.
Der Hinweis "Nervschädigung" in einem schriftlichen Aufklärungsformular ist unzureichend, weil er nicht verdeutlicht, dass ein nicht mehr zu behebender Dauerschaden eintreten kann. Liegt aufgrund einer derartigen Beeinträchtigung die Gefahr von Folgeschäden offen zutage, bedarf die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige weitere Schäden keiner besonderen Begründung.
Ein Arzt muss seinen Patienten vor einer Operation umfassend und sachgemäß über ein seltenes, den Patienten aber erheblich beeinträchtigendes Risiko des Eingriffs aufklären. Besteht etwa bei einer zahnärztlichen Versorgung mit Implantaten die seltene, aber gravierende Gefahr einer dauerhaft verbleibenden Nervenschädigung, ist der Patient über Inhalt und Tragweite dieser möglichen Folge hinreichend zu informieren. Der bloße Hinweis “Nervschädigung” in einem schriftlichen Aufklärungsformular ist dabei ohne weitere Erläuterungen im Aufklärungsgespräch unzureichend.
Link zum Volltext (Justiz Rheinland Pfalz)
weitere Quellen: MDR 2012, 1286-1287; MedR 2013, 171; VersR 2013, 61
OLG Köln, Urt. v. 12.1.2011 – 5 U 37/10
Es fehlt an einer erforderlichen Grundaufklärung, wenn bei einer CT-gesteuerten periradikulären Lumbalinfiltration nicht über das Risiko einer Querschnittslähmung aufgeklärt wird.
weitere Quellen: MedR 2012, 121–124; KHE 2011/106; VersR 2012, 1565–1568; m Anm Steffen, MedR 2012, 124–125
OLG Hamm, Urt. v. 29.9.2010 – 3 U 169/09
Risikoaufklärung über Nervenverletzung/Aufklärungspflicht über alternative Heilmethoden
Es liegt eine Aufklärungspflichtverletzung des Zahnarztes vor, wenn dieser bei einer Leitungsanästhesie im Zuge einer zahnerhaltenden Maßnahme nicht über das Risiko einer dauerhaften Schädigung des nervus lingualis aufklärt.
Es besteht keine Pflicht, über alternative Anästhesiemethoden aufzuklären, wenn diese zum Zeitpunkt der Operation noch nicht zum medizinischen Standard gehören.
weitere Quellen: VersR 2011, 758–759; MedR 2011, 723–725
BGH, Beschluss v. 3.7.1990 – VI ZR 302/89; OLG Frankfurt/M, Urt. v. 21.9.1989 – 1 U 12/88
Bei der Entfernung eines Polypen an der Darmwand ist nicht zwingend über das Risiko einer Darmperforation aufzuklären; Hypothetische Einwilligung
Vor der Entfernung eines Polypen an der Darmwand wurde die Patientin nicht über das Risiko der Darmperforation (weniger als 1: 1000; bei dem behandelnden Arzt hatte sich das Risiko in 13jähriger
Tätigkeit noch nicht realisiert) aufgeklärt. Das Risiko verwirklichte sich. Der BGH hat die Revision nicht angenommen.
,,Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass hier das Risiko von ,weniger als einem Fall auf 1000 Eingriffe` nicht spezifisch und deshalb nicht aufklärungsbedürftig gewesen sei, stößt freilich
auf Bedenken (. . .). Indessen erscheint es nach den besonderen Umständen des Falls nicht plausibel, dass die Patientin bei vollständiger Aufklärung ihr Einverständnis zu dem Eingriff verweigert
hätte.“
weitere Quellen: VersR 1991, 185–186